
Bringt öfter
Fisch auf
den Tisch!
Mit der Indienststellung des ersten
Fischdampfers, der legendären
„Sagitta“, begann 1885
die Erfolgsgeschichte der Großen
Hochseefi scherei in nördlicher Nordsee
und Nordatlantik. Rasch stiegen die
Anlandungen an Seefi sch, vergrößerten
sich die Fangfl otten, wurden neue Standorte
für Fang und Verarbeitung gegründet. Ab
1908 wurde auch Cuxhaven zum Heimathafen
der Fischdampfer. Eigentlich hätten
sich die Verantwortlichen angesichts dieser
Erfolgsgeschichte entspannt zurücklehnen
können, wäre da nicht ein kleines Problem
gewesen: Deutschland war kein Land der
Fischesser! In den Küstenregionen kam
Fisch zwar regelmäßig auf den Tisch, aber
weiter im Binnenland war Seefi sch – mit
Ausnahme von Salzhering – auf dem Speisezettel
eher die Ausnahme.
Dabei erfreute sich Seefi sch allerhöchster
Protektion: 1896 veranlasste die deutsche
Kaiserin höchstpersönlich, dass ein Schellfi
schkochbuch herausgegeben wurde. Und
der Kaiser äußerte beim Besuch der Gartenausstellung
in Altona 1914 sein Bedauern
darüber, dass Seefi sch nicht populärer
sei, und erklärte, er selbst lebe vor allem
von Seefi sch, Erdbeeren und Kirschen.
Diese royale Unterstützung kam nicht
von ungefähr, strebte die junge deutsche
Nation doch nach Unabhängigkeit von
Lebensmittelimporten – mit Blick auf die
Versorgungsprobleme der Bevölkerung im
Ersten Weltkrieg ein Anliegen nicht ohne
Brisanz. Die Stimmungslage der Geldgeber
wie der Politik war daher für Investitionen
in Maßnahmen zur Stärkung der
Fischerei günstig. Und so begann eine
Kampagne, die vermutlich die Strategen
selbst unserer werbeüberfl uteten Zeit
zum Staunen bringen würde. Motor dieser
Kampagne war der Deutsche Seefi schereiverein
(DSV).
Was also tut man, wenn man ein bis dato ungeliebtes
Produkt an die Frau bringen will?
Neben Anzeigen in den Zeitungen und der
Herausgabe von Infoheftchen verfi el der
DSV auf eine ungewöhnliche Werbemaßnahme:
Er organisierte Fischkochkurse!
Dem DSV kam dabei die Tatsache zugute,
dass in den Ballungsgebieten Anfang des
20. Jahrhunderts Fleisch außerordentlich
knapp und damit teuer geworden war. Den
Stadtvätern andererseits war sehr daran
gelegen, die Expansion der Wirtschaft in
ihren Bereichen dadurch zu unterstützen,
dass preiswerte Nahrungsmittel angeboten
wurden. Eine Kampagne für Fisch als Alternative
zum Fleisch kam da gerade recht.
Mithilfe der jeweiligen Stadtverwaltungen
wurden daher an vielen Orten Räumlichkeiten
für die Koch-Unterweisungen hergerichtet,
den Unterricht übernahmen eigens
vom DSV geschulte Kräfte. Durchgeführt
wurden solche Kochkurse ab 1908, das
nötige Geld kam zu gleichen Teilen von
Fischdampferreedern und vom Reichsamt
des Inneren. Bis 1912 waren bereits 1452
Kurse in 316 Städten durchgeführt worden,
an die 60.000 Teilnehmerinnen hatten sich
dabei in die Kunst der Fischküche einweisen
lassen. Schwerpunkte der Kampagne
waren Sachsen, Industriegebiete in Schlesien,
an Rhein und Ruhr sowie der Großraum
Berlin.
Frischer Fisch gilt heute als
Delikatesse. Vor 100 Jahren
war das Image von Kabeljau,
Rotbarsch und Seelachs
durchaus nicht so positiv.
Die Fischindustrie musste
sich damals schon wirklich
etwas einfallen lassen,
um die Fänge der Hochseefi
scherei an die (Haus-)Frau
zu bringen!
Ein Blick in die Fischlehrküche im Obergeschoss des
Anbaus an die Halle VIII. Das Bild entstand vermutlich
in den 1930er-Jahren.
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Fotos: Stadtarchiv Cuxhaven (3), Museum „Windstärke 10“ (1)