
Landleben –
gestern
und heute Die Journalistin, Lektorin und Übersetzerin
Uta Ruge verwebt in ihrem Buch
„Bauern, Land“ Kindheitserinnerungen,
Weltpolitik und das Landleben von heute
zu einer packenden Saga
Foto/Cover: Kunstmann-Verlag, Fotos: Holger Groß (1), Ruge (1), CN/NEZ-Archiv (1) Aufgewachsen ist sie auf einem
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Bauernhof in Neubachenbruch,
heute lebt und arbeitet sie in Berlin:
Die Journalistin, Lektorin und
Übersetzerin Uta Ruge verwebt in ihrem
Buch „Bauern, Land. Die Geschichte meines
Dorfes im Weltzusammenhang“ Kindheitserinnerungen,
Weltpolitik und das
Landleben von heute zu einer lehrreichen
Saga. Ein spannendes und oft bewegendes
Leseerlebnis.
Wenn Uta Ruge von ihrer Kindheit und
Jugend in Neubachenbruch erzählt, dem
heutigen Ortsteil Stinstedts, schleicht
sich ein weicher Ton in ihre Stimme. „Die
Nähe zu Tieren und Pflanzen, die Weite
der Landschaft und ihr stetiger Wandel
mit den Jahreszeiten, das war schon ein
großes Geschenk“, sagt die Autorin, die
1957 als Kind von DDR-Flüchtlingen
ins Cuxland kam. Von romantisierender
Schönmalerei ist sie dennoch weit entfernt,
wenn sie auf das Landleben in den
Fünfzigern und Sechzigern zurückblickt.
Rüben hacken, Ställe säubern, Vieh treiben:
„Vor allem die Pflichten und die alles
durchdringende Atmosphäre des Arbeitens
empfand ich als Kind oft als schwer.“
In ihrem Buch berichtet sie detailreich
und lebendig von dieser Zeit. Vom Gräbensäubern
mit Spaten und Haken, vom
Kranzbinden vor den Hochzeiten, von
Schlägen in der Dorfschule, vom Schlittschuhlaufen
auf der Wettern und von
der Haarschneidemaschine, mit der der
Feuerwehrhauptmann den Kindern die
Schöpfe schor.
Neben diesem „Damals“ steht das „Heute“:
Die ganzen Sorgen und Nöte der
Bauern, die Kluft zwischen Stadt und
Land werden deutlich, wenn Uta Ruge
ihren Bruder besucht, der den elterlichen
Betrieb weiterführt. Verbittert schnaubt
er: „Auch auf dem Land fühlen sich die
meisten durch uns nur gestört.“ Durch
die schweren Maschinen auf den Dorfstraßen,
die Silagehaufen, den Viehgestank,
die Maisfelder. Erzürnt steht der Landwirt
auf und schleudert der Städterin noch einen
Satz zu, bevor er wieder raus auf den
Hof geht: „Hauptsache, eure Kühlschränke
sind voll.“ Uta Ruge bezieht in ihrem
Buch klar Stellung, kämpft gegen das
Bild des „bösen Landwirts“. Der Tagesspiegel
nennt ihr Buch folglich „eine Ehrenrettung
des Bauerntums“. Und das ist
es wirklich. „In der öffentlichen Diskussion
ist so viel von den Käfern und Fröschen
die Rede, von Böden und Nutztieren.
Aber was ist mit den Bauern? Redet
mal jemand über die Menschen und deren
Geschichte? Das war für mich Motivation,
das Buch zu schreiben“, sagt Ruge. Die
Krise der Milchpreise, Probleme mit dem
Wolf. Dazu kommen neue Anforderungen
im Tier- und Pflanzenschutz. Sie nennt
die Konflikte beim Namen.
Ein Plädoyer für einen dauerhaften Dialog
zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft
– das ist das eine. Die Autorin taucht
aber noch viel tiefer ab, verbindet das
Subjektive der Ich-Erzählerin mit einem
historischen Faktengewitter. Vergil und
Horaz, die ein idealisierendes Lob des in
der Natur arbeitenden Menschen singen,
kommen ebenso zu Wort wie Goethe und
Hermann Allmers. Auch Johann Heinrich
Voß darf nicht fehlen, der im 18. Jahrhundert
auf die erste Pockenimpfung im
Hadelner Land drängte. Die Neubachenbrucher
Dorfchronik von Otto Heitmann
gehörte ebenso zu Ruges Quellen wie
Van Goghs Briefe und Falladas „Bauern,
Bonzen und Bomben“. Was hat Uta Ruge
bei der Buchrecherche am meisten überrascht?
„Wie groß das Wasserproblem in
Hadeln war. Nicht nur die Überschwemmungen
waren dramatisch, sondern auch
das schlechte Trinkwasser, an dem viele
Menschen gestorben sind.“
Für Uta Ruge war als 19-Jährige Schluss
mit dem Landleben. „Ich wollte raus, die
Welt entdecken“, sagt die Journalistin
und Lektorin. Und das tat sie auch. Sie
studierte in Marburg und Berlin Germanistik
und Politik und wirkte nach dem
Staatsexamen in linksalternativen Projekten
mit, unter anderem bei der taz.
1985 ging Uta Ruge nach London und
arbeitete von dort aus 13 Jahre als freie
Mitarbeiterin für deutsche Rundfunk-
In „Bauern, Land“ erzählt die Autorin
Uta Ruge, wie über Jahrhunderte
Moorbauern das Hadler Land eroberten –
und jetzt zu verschwinden drohen.