
Mit diesen Verszeilen leitet
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Barthold Heinrich Brockes sein
„Land-Leben in Ritzebüttel“,
des „Irdischen Vergnügens in
Gott Siebender Theil“ ein. 1743 in Hamburg
von Christian Herold verlegt, ist es Teil von
Brockes’ umfangreichstem und bedeutendstem
poetischen Werk und für Cuxhaven
auch über zwei Jahrhunderte nach seinem
Erscheinen von unschätzbarem Wert. Aktueller
Anlass, daran zu erinnern, ist der vor
wenigen Wochen erschienene fünfte Band
der großen Brockes-Edition des Göttinger
Wallstein Verlages. Er enthält das komplette
„Landleben in Ritzebüttel“ einschließlich eines
umfangreichen editorischen Teils. Viele
Anmerkungen zu Gedicht- und Textzeilen
erweisen sich für interessierte Leserinnen
und Leser als eine wahre Fundgrube.
Manch einer mag als Besucher des
Schlosses Ritzebüttel zu dem (übrigens
immer noch sehr lesenswerten) gelben
Reclam-Bändchen im Kartenständer am
Eingang gegriffen haben, um sich wenigstens
etwas schlau zu machen, was
denn Brockes und das Schloss überhaupt
miteinander zu tun haben. Als Brockes
1735 für sechs Jahre die Position des
Amtmannes in Hamburgs Außenposten
Brockes’
„Landleben in
Ritzebüttel“
„O wehrtes Land, geliebtes Feld,
Das so viel Lieblichkeit enthält,
Wo die Natur gedoppelt schön,
Im Land, und auf dem Meer, zu sehn! …“
Ritzebüttel annahm, war er längst schon
ein berühmter Mann. Aus vermögendem
Hause stammend, studierter Jurist
und Philosoph, war er als junger Mann
auf die obligatorische Bildungsreise geschickt
worden. Sein Passionsoratorium
„Der für die Sünde der Welt gemarterte
und sterbende Jesu“ war bereits von den
wichtigsten Komponisten seiner Zeit wie
Reinhard Keiser, Händel, Telemann und
Johann Mattheson vertont worden.
Sein auf neun Bände angelegtes Hauptwerk
„Irdisches Vergnügen in Gott“ erschien
seit 1721 – jenes Jahr, in dem er
von Amts wegen auf diplomatische Reise
an den Kaiserhof nach Wien geschickt
wurde. Mit Richey und Fabricius hatte er
1724 die „Patriotische Gesellschaft“ gegründet,
die von politisch einflussreichen
Hamburger Bürgern getragen wurde.
Eine „Selbstbiographie“ war ebenfalls im
Werden und als er nach Ritzebüttel kam,
längst abgeschlossen. Barthold Heinrich
Brockes war jemand! Er war der Natur-
lyriker seiner Zeit, literarisch und kulturpolitisch
einflussreich und bestens vernetzt
mit den großen Geistern seines Jahrhunderts.
Was wollte so jemand in Ritzebüttel,
weitab von den Geschehnissen der Welt?
„Das Thürmchen zu Ritzebüttel“ gibt Auskunft. Es ist für den Dichter
und nunmehr Hamburgischer Amtmann auf dem Schloss:
„Der Sitz, wodurch ich, abgesondert von Menschen, einsam und allein
In ungestörter Ruhe sitze, wo mich des falschen Neides Stein,
Da ich so weit von ihm entfernt, und ihm nicht sichtbar bin, nicht trifft,
Wo weder bittrer Haß noch Zank, noch Verleumdung falsches Gift
Mich, weil man mein vergißt, nicht quälet. Mein Thürmchen, wo ich, ungestört,
Die schöne Welt, als Gottes Werk, und als des Schöpfers Bau,
Von Erde, Luft und Fluht verbunden, und wunderbar gefügt, beschau
Ist einer eigenen Beschreibung, zur stetigen Erinn’ rung, wehrt.“