
"Könnte Leben retten": Kritik an medizinischer Versorgungslage um Kreidesee Hemmoor
Nach einem tödlichen Tauchunfall am Kreidesee in Hemmoor stellt sich die Frage nach der medizinischen Versorgungssicherheit. Ein Experte stellt Forderungen, um Leben zu retten. Doch sind die Vorschläge realisierbar?
Zwei Tage nach dem tödlichen Tauchunfall im Kreidesee Hemmoor meldet sich ein Fachmann zu Wort, der weiß, wovon er spricht: Torsten Haux, Geschäftsführer der Cuxhavener Haux-Life-Support GmbH, entwickelt Druckkammern - Anlagen, die verunglückten Tauchern helfen können, wenn jeder Atemzug zählt. Im Gespräch mit der NEZ/CN-Redaktion zeigt sich der Unternehmer besorgt über die medizinische Versorgungslage im Norden: "Deutschland ist grundsätzlich gut organisiert - aber an Wochenenden und Feiertagen wird es schon sehr dünn, wer einsatzklar ist. Gerade in Norddeutschland."
"Der Faktor Zeit ist entscheidend"
Haux erklärt, wie entscheidend die ersten Minuten und Stunden nach einem Tauchunfall sind: "Wenn ein Taucher zu schnell aufsteigen muss, etwa wegen eines Geräteproblems, und sofort wieder in einer Kammer unter Druck gebracht werden kann, ließe sich oft Schlimmeres verhindern."

Denn der Überdruck in der Kammer sorge dafür, dass im Körper entstandene Gasblasen wieder zusammengedrückt und abgebaut werden. "Damit können Durchblutungsstörungen oder neurologische Schäden oft vermieden werden."
Zurzeit, so Haux, sei die nächste geeignete Druckkammer für Notfälle von Hemmoor aus jedoch weit entfernt - etwa im Ruhrgebiet oder in Kiel. Das erschwere schnelle Hilfe erheblich. "Die Entfernung, das Wetter und die Transportmöglichkeit per Hubschrauber - das alles sind Faktoren, die wertvolle Minuten kosten können."
Mobile Kammer als Lösung für Hemmoor
Eine Lösung sieht Haux in einer mobilen Druckkammer, die direkt am Kreidesee stationiert werden könnte. "Das wäre im Prinzip ein Container, der sich leicht verlegen lässt und sofort einsatzbereit wäre", sagt er. Die Kosten für ein solches System schätzt er auf rund eine halbe Million Euro.

"Das ist nicht billig", räumt er ein, "aber was ist das Leben eines Menschen wert? Wir geben für Airbags, Defibrillatoren und Rettungstechnik viel Geld aus - eine Druckkammer ist im Prinzip der Airbag für Taucher."
Solch eine Anlage könnte laut Haux schon eingreifen, bevor ein Tauchunfall zum lebensbedrohlichen Notfall wird. "Wenn ein Taucher seine Auftauchzeit nicht einhalten konnte, könnte er sofort in die Kammer gebracht werden, um dort den Druckausgleich nachzuholen - noch bevor Symptome entstehen."
Norddeutschland ist dünn versorgt
Die Realität sieht derzeit anders aus. Zwar verfügen Bundeswehr und Marine über moderne Systeme, doch diese seien meist nicht für zivile Notfälle freigegeben. "Das neue Tauchmedizinsystem am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg wird sicher ein Fortschritt - aber es wird erst 2026 oder 2027 in Betrieb gehen", sagt Haux. "Bis dahin bleibt die Lücke groß."

Für schwere Fälle, bei denen Taucher beatmet werden müssen, brauche es außerdem ein Krankenhaus mit Intensivkapazität. "Eine Druckkammer allein reicht nicht - sie muss immer Teil eines medizinischen Gesamtsystems sein", betont Haux.
Er plädiert daher für Kooperationen zwischen Tauchzentren, Rettungsdiensten und Kliniken: "Das würde helfen, die Versorgungskette zu verkürzen und klare Abläufe im Ernstfall zu schaffen."
"Verbote bringen nichts - Wissen schon"
Ein Tauchverbot für den Kreidesee, über das manche nach dem jüngsten Unglück spekulieren, lehnt Haux entschieden ab. "Das wäre der falsche Weg. Besser wäre, in Ausbildung und Prävention zu investieren."
Er könnte sich vorstellen, dass am Kreidesee Druckkammer-Seminare angeboten werden - Schulungen, bei denen Taucher in sicherer Umgebung erleben können, was unter Druck im Körper passiert. "Man kann in der Kammer simulieren, wie sich der Stickstoffrausch anfühlt. Das schärft das Bewusstsein für die Risiken - und das rettet im Zweifel Leben."
Der Kreidesee in Hemmoor und der Attersee in Österreich seien, so Torsten Haux, "die zwei Hotspots Europas". Dort suchten viele Taucher die Tiefe - und manchmal den Kick. "Es ist fast wie bei den Lemmingen: Die Menschen zieht es dahin, wo es besonders herausfordernd ist."
Doch gerade in solchen Gewässern müsse die Sicherheitskette perfekt funktionieren: von der Ausbildung über die Ausrüstung bis zur medizinischen Versorgung. "Ein Unfall lässt sich nie völlig ausschließen - aber man kann alles tun, um ihn zu überleben."