Das Leben von Sonja Ady wurde am 23. August 1987 ausgelöscht. Bis heute ist ihr Mörder nicht gefunden. Foto: CNV-Archiv
Das Leben von Sonja Ady wurde am 23. August 1987 ausgelöscht. Bis heute ist ihr Mörder nicht gefunden. Foto: CNV-Archiv
Serie "Neu aufgerollt"

Bestialischer Mord bei Lamstedt: Wer tötete Sonja Ady aus Oldendorf?

von Wiebke Kramp | 16.10.2019

BREMERVÖRDE / LAMSTEDT / OLDENDORF. Der Fall bleibt spektakulär. Er zählt zur unheimlichen Serie ungeklärter Disco-Morde im Elbe-Weser-Raum und schockte aufgrund seiner Grausamkeit die Bevölkerung. 

Der Täter stach mit mehr als 60 Messerstichen zu und ließ sein Opfer, die erst 16-jährige Sonja Ady, an einem abgelegenen Feldweg bei Ebersdorf zwischen Bremervörde und Lamstedt liegen. Am 23. August 1987 löschte der Täter das Leben der zierlichen Hauswirtschaftsschülerin brutal aus. 32 Jahre liegt dieser Fall mittlerweile zurück. Dabei sah es zwischenzeitlich vor elf Jahren nach einem Ermittlungserfolg aus. Modernere DNA-Untersuchungsmethoden und ein Speicheltestabgleich führten 2008 zu einem Sexualfreund von Sonja Ady. Doch der Angeklagte Himmelpfortener wurde in Prozessen 2009 und 2011 freigesprochen. Und sogar der Bundesgerichtshof war eingeschaltet.

Der DJ legt angesagte Hits auf. Madonnas "La Isla Bonita" oder John Farnhams "You're the Voice" stehen ganz oben in den Charts und sind der Sundtrack dieses Sommers. Eine typische Samstagnacht in den Achtzigern. Die Dorfjugend tanzt in der nächst gelegenen Disco. Für Sonja Ady aus Oldendorf ist es das "Ta-Töff" in Bevern. Gegen 1.50 Uhr sollen Gäste der Disco sie noch gesehen haben. Danach nur noch ihr Mörder. Bekannte geben später zu Protokoll, das Sonja mangels Fahrgelegenheit nach Hause trampen wollte.

Gegen halb elf am nächsten Morgen: Einem Landwirtsehepaar aus Ebersdorf bietet sich ein Bild des Schreckes. Es entdeckt in der Feldmark "Steffens Hörn" die brutal zugerichtete Leiche eines jungen Mädchens. Es ist Sonja Ady. Ihr toter Körper ist nackt, im Mund steckt ein Knebel, die Hände sind hinter dem Rücken zusammengebunden und mit einem Seil an die Füße gefesselt. "Nach Mafia-Art" nennen es die Ermittler. Der Körper ist übersät mit Messerstichen. Genau 67 Stiche in Hals, Brust- und Genitalbereich sind es. Hinweise auf eine Vergewaltigung finden sich nicht, allerdings Bissspuren. Bei der Kriminalpolizei in Bremervörde wird eine Sonderkommission gebildet.

Schon frühzeitig gerät ein Bekannter des Mädchens ins Visier der Ermittler: der zur Tatzeit 19-jährige Michael B. aus Himmelpforten. Michael gibt im Zuge der Ermittlungen zu, Sonja zuvor am Mordabend getroffen und mit ihr in seinem Auto einvernehmlichen Sex gehabt zu haben. Aber anschließend sei sie wieder zurück ins "Ta-Töff" gegangen. Der junge Mann gilt nicht als tatverdächtig. Die Ermittler gehen anderen Spuren und Hinweisen nach. Vergeblich.

2008, also nach 21 Jahren, kommt wieder Bewegung in den Fall. Er wird neu aufgerollt. Die Hinterlassenschaften am Tatort werden untersucht. Die Methoden, Spuren genetischer Fingerabdrücke zu finden, sind inzwischen verfeinert. Es gelingt tatsächlich, DNA-Nachweise zu sichern. Mehrere Männer werden zum Speicheltest geladen - auch der gebürtige Himmelpfortener. Mittlerweile ist er über 40 Jahre alt, verheiratet, nicht vorbestraft, lebt in Venezuela - und er beteuert seine Unschuld.

Der wissenschaftliche Fortschritt hat allerdings dafür gesorgt, dass seine DNA an einer Socke und einem Hanfseil nachgewiesen werden kann. Er wird schließlich in seiner Wahlheimat Venezuela von Zielfahndern verhaftet und schließlich in Stade des Mordes an Sonja Ady angeklagt. Er beteuert seine Unschuld.

2009 beginnt der Indizienprozess wegen Mordes vor dem Landgericht. Im Zuge der Verhandlung schließt jedoch eine Gutachterin nicht aus, dass die Spuren an den Fesseln auf eine sogenannte Sekundärübertragung zurückgehen könnten. Spermarückstände aus dem in der Mordnacht zuvor einvernehmlich erfolgten Geschlechtsverkehr von Sonja und Michael könnten während der Bergung der Leiche oder der Obduktion an das Seil gelangt sein.

Das Stader Gericht kommt schließlich zu dem Schluss, dass die Beweislage zu dünn sei. Es entschließt sich zum Freispruch. Dagegen legt allerdings die Staatsanwaltschaft Einspruch ein. Mit Erfolg. Der eingeschaltete Karlsruher Bundesgerichtshof hebt das Stader Richterurteil auf. Mit Blick auf die Beweisführung in Stade sprechen die Karlsruher Richter von "erheblichen Bedenken". Alles muss noch einmal von vorn aufgerollt werden. Diesmal wird der Mordprozess ab Anfang November 2010 vor dem Landgericht Verden verhandelt. Zuvor galt es allerdings, den wiederum Angeklagten erneut festzunehmen. Er hatte sich ins Ausland abgesetzt und wurde von Zielfahndern in Venezuela verhaftet.

Zahlreiche Gutachten und Überprüfungen der DNA-Spuren werden auch im Zuge dieses neuerlichen Prozesses bemüht. Ein Gerichtsbiologe kommt in seinem 2011 vorgelegten Gutachten zu dem Schluss, die nachgewiesenen Partikel könnten nicht eindeutig dem Angeklagten zugeordnet werden. Außerdem habe er Spuren von mindestens vier verschiedenen Menschen entdeckt. Einem anderen Gutachten zufolge könnten die Spuren durch andere Personen auf das Seil gelangt sein.

Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer dennoch sieben Jahre Haft nach Jugendstrafrecht. Die Verteidigung verlangt den Freispruch und der Angeklagte hält an seiner Unschuldsbehauptung fest. Nicht der Angeklagte, sondern ein unbekannter Täter habe Sonja getötet, urteilt der Vorsitzende Richter in dem aufgerollten Prozess 2011 vor dem Landgericht Verden. Laut Richter habe Michael B. für die Tatzeit ein Alibi. Ein Taxifahrer, der auch Sonja gut gekannt habe, habe die Jugendliche schließlich noch lebend gesehen, als der Angeklagte bereits mit seiner damaligen Freundin zu Hause gewesen sei. Eine Verwechslung hält der Richter für ausgeschlossen.

Und damit bleibt die Frage weiter offen: Wer hat Sonja Ady getötet?

Weitere Berichte der Serie "Neu aufgerollt" gibt es hier.

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Wiebke Kramp

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