Bestialischer Mord bei Lamstedt: Wer tötete Sonja Ady aus Oldendorf?
BREMERVÖRDE / LAMSTEDT / OLDENDORF. Der Fall bleibt spektakulär. Er zählt zur unheimlichen Serie ungeklärter Disco-Morde im Elbe-Weser-Raum und schockte aufgrund seiner Grausamkeit die Bevölkerung.
Gegen halb elf am nächsten Morgen: Einem Landwirtsehepaar aus Ebersdorf bietet sich ein Bild des Schreckes. Es entdeckt in der Feldmark "Steffens Hörn" die brutal zugerichtete Leiche eines jungen Mädchens. Es ist Sonja Ady. Ihr toter Körper ist nackt, im Mund steckt ein Knebel, die Hände sind hinter dem Rücken zusammengebunden und mit einem Seil an die Füße gefesselt. "Nach Mafia-Art" nennen es die Ermittler. Der Körper ist übersät mit Messerstichen. Genau 67 Stiche in Hals, Brust- und Genitalbereich sind es. Hinweise auf eine Vergewaltigung finden sich nicht, allerdings Bissspuren. Bei der Kriminalpolizei in Bremervörde wird eine Sonderkommission gebildet.
Schon frühzeitig gerät ein Bekannter des Mädchens ins Visier der Ermittler: der zur Tatzeit 19-jährige Michael B. aus Himmelpforten. Michael gibt im Zuge der Ermittlungen zu, Sonja zuvor am Mordabend getroffen und mit ihr in seinem Auto einvernehmlichen Sex gehabt zu haben. Aber anschließend sei sie wieder zurück ins "Ta-Töff" gegangen. Der junge Mann gilt nicht als tatverdächtig. Die Ermittler gehen anderen Spuren und Hinweisen nach. Vergeblich.
2008, also nach 21 Jahren, kommt wieder Bewegung in den Fall. Er wird neu aufgerollt. Die Hinterlassenschaften am Tatort werden untersucht. Die Methoden, Spuren genetischer Fingerabdrücke zu finden, sind inzwischen verfeinert. Es gelingt tatsächlich, DNA-Nachweise zu sichern. Mehrere Männer werden zum Speicheltest geladen - auch der gebürtige Himmelpfortener. Mittlerweile ist er über 40 Jahre alt, verheiratet, nicht vorbestraft, lebt in Venezuela - und er beteuert seine Unschuld.
2009 beginnt der Indizienprozess wegen Mordes vor dem Landgericht. Im Zuge der Verhandlung schließt jedoch eine Gutachterin nicht aus, dass die Spuren an den Fesseln auf eine sogenannte Sekundärübertragung zurückgehen könnten. Spermarückstände aus dem in der Mordnacht zuvor einvernehmlich erfolgten Geschlechtsverkehr von Sonja und Michael könnten während der Bergung der Leiche oder der Obduktion an das Seil gelangt sein.
Das Stader Gericht kommt schließlich zu dem Schluss, dass die Beweislage zu dünn sei. Es entschließt sich zum Freispruch. Dagegen legt allerdings die Staatsanwaltschaft Einspruch ein. Mit Erfolg. Der eingeschaltete Karlsruher Bundesgerichtshof hebt das Stader Richterurteil auf. Mit Blick auf die Beweisführung in Stade sprechen die Karlsruher Richter von "erheblichen Bedenken". Alles muss noch einmal von vorn aufgerollt werden. Diesmal wird der Mordprozess ab Anfang November 2010 vor dem Landgericht Verden verhandelt. Zuvor galt es allerdings, den wiederum Angeklagten erneut festzunehmen. Er hatte sich ins Ausland abgesetzt und wurde von Zielfahndern in Venezuela verhaftet.
Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer dennoch sieben Jahre Haft nach Jugendstrafrecht. Die Verteidigung verlangt den Freispruch und der Angeklagte hält an seiner Unschuldsbehauptung fest. Nicht der Angeklagte, sondern ein unbekannter Täter habe Sonja getötet, urteilt der Vorsitzende Richter in dem aufgerollten Prozess 2011 vor dem Landgericht Verden. Laut Richter habe Michael B. für die Tatzeit ein Alibi. Ein Taxifahrer, der auch Sonja gut gekannt habe, habe die Jugendliche schließlich noch lebend gesehen, als der Angeklagte bereits mit seiner damaligen Freundin zu Hause gewesen sei. Eine Verwechslung hält der Richter für ausgeschlossen.
Und damit bleibt die Frage weiter offen: Wer hat Sonja Ady getötet?
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