Beide sind sie bei den Grünen, doch ihre Meinungen beim Thema Corona könnten unterschiedlicher nicht sein: Der frühere Krankenpfleger und Impfbefürworter Rüdiger von Gizycki und die Impfskeptikerin und frühere Ratsfrau Elke Schröder-Roßbach. Bei einem Streitgespräch unter der Moderation von CN/NEZ-Redakteur Jens-Christian Mangels trafen beide jetzt erneut aufeinander. Foto: Mangels
Beide sind sie bei den Grünen, doch ihre Meinungen beim Thema Corona könnten unterschiedlicher nicht sein: Der frühere Krankenpfleger und Impfbefürworter Rüdiger von Gizycki und die Impfskeptikerin und frühere Ratsfrau Elke Schröder-Roßbach. Bei einem Streitgespräch unter der Moderation von CN/NEZ-Redakteur Jens-Christian Mangels trafen beide jetzt erneut aufeinander. Foto: Mangels
"Sonntagsspaziergang"

Impfen oder nicht? Grüne treffen sich nach Corona-Demos in Cuxhaven zum Streitgespräch

von Christian Mangels | 14.12.2021

Cuxhaven. Beide sind sie bei den Grünen, doch ihre Meinungen beim Thema Corona könnten unterschiedlicher nicht sein: Der frühere Krankenpfleger und Impfbefürworter Rüdiger von Gizycki und die Impfskeptikerin und frühere Ratsfrau Elke Schröder-Roßbach. Bei einem Streitgespräch unter der Moderation von CN/NEZ-Redakteur Jens-Christian Mangels trafen beide jetzt erneut aufeinander.

Sind Sie geimpft?

Rüdiger von Gizycki: Ja, ich bin dreimal geimpft. Die Booster-Impfung habe ich am Montag hinter mich gebracht. Mein Termin war eigentlich erst im Januar, aber ich habe das jetzt vorgezogen. Je eher desto besser...

Elke Schröder-Roßbach: Das ist so eine Frage, als könnte man einen in eine Schublade stecken. Ich bin nicht geimpft, aber ich bin keine Impfgegnerin. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Das müssen Sie näher erläutern. Warum haben Sie für sich persönlich entschieden, sich nicht impfen zu lassen?

Schröder-Roßbach: Zum einen gehöre ich zu der Gruppe, die in keinster Weise krank ist. Ich habe keine Vorerkrankungen. Das andere ist, dass mir dieser Impfstoff als solcher nicht gefällt. Er ist sehr in der Kritik. Ich lehne das Impfen grundsätzlich nicht ab und ich muss noch einmal sagen, dass ich weder zu Geimpften noch zu Ungeimpften irgendeine ablehnende Haltung verspüre. Ich habe eine große Familie und ein großes soziales Umfeld und da hat jeder Mensch so entschieden, wie er oder sie es für richtig hält - und das tut dem Miteinander keinen Abbruch.

Wissenschaftlicher Konsens ist, dass wir nur durchs Impfen aus der Pandemie kommen. Sehen Sie das anders?

Schröder-Roßbach: Das wird von Wissenschaftlern sehr unterschiedlich gesehen. Es gibt viele verschiedene Meinungen, es kommt aber leider meistens nur eine Seite zum Zuge. Ich finde es wichtig, bei großen Themen auch immer eine Gegenmeinung einzuholen. So haben die Grünen bislang immer gearbeitet. Ich vermisse die kritische Auseinandersetzung.

Herr von Gizycki, was sagen Sie dazu?

von Gizycki: Es ist natürlich richtig, dass es immer Wissenschaftler gibt, die eine andere Meinung vertreten. Entscheidend ist aber, dass die führenden Persönlichkeiten in der Wissenschaft sich völlig einig darüber sind, dass nur die Impfung den Effekt bringt, uns vor weiteren Infektionen, Erkrankungen und Toten zu schützen. Und diese Meinung ist entscheidend. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, hat gesagt: "Es geht hier um Menschenleben und um nichts anderes." Danach müssen wir uns richten. Die Krankenhäuser sind voll und die Intensivkapazitäten drohen Weihnachten an ihre Grenze zu kommen. Patienten müssen bereits verlegt werden. Ärzte und Pflegekräfte arbeiten am Limit, sind völlig ausgelaugt. Sie regen sich über die Leute auf, die krank auf der Intensivstation liegen und trotzdem noch sagen: "Ich lasse mich nicht impfen." Das versteht kein Mensch. Es sind ja vorwiegend die Nichtgeimpften, die auf der Intensivstation liegen. Natürlich gibt es auch Impfdurchbrüche, die sind im Verhältnis aber eher gering. Die Ansteckungsgefahr durch diejenigen, die geimpft sind, ist wesentlich geringer und ist mehr oder weniger zu vernachlässigen.

Frau Schröder-Roßbach, sehen Sie die Lage nicht so dramatisch? Mehr als sechs Millionen Erkrankte, rund 100 000 Todesfälle, volle Krankenhausbetten...

Schröder-Roßbach: Die Betten auf den Intensivstationen sind voll, das ist richtig. Es sind während der Corona-Pandemie aber auch viele Betten abgebaut worden. Das muss man aufarbeiten. Man muss auch dringend aufarbeiten, wie es dem Personal in den Krankenhäusern geht. Und was ist mit der Überfüllung auf den Kinderstationen und in der Kinderpsychiatrie. Sind daran auch die Ungeimpften schuld? Dass auf den Intensivstationen vor allem Nichtgeimpfte liegen, ist zwar richtig, aber ich gebe zu bedenken: Bis zwei Wochen nach der zweiten Impfung gelten Corona-Patienten als "ungeimpft". Sie haben gerade von sechs Millionen erkrankten Menschen gesprochen - das ist nicht unbedingt die Zahl der wirklich Erkrankten, sondern bei denen ein positiver Abstrich genommen wurde. Auf dem Kaemmererplatz habe ich mich übrigens nicht negativ zum Impfen geäußert, nur zum Thema Kinderimpfungen. Und eines muss ich hier noch mal kurz sagen: Wenn es um Impfen und Nichtimpfen geht, dann ist das aus meiner Sicht ein Scheingefecht. Frau Merkel hat gesagt, sie macht ein Angebot. Ein Angebot kann man annehmen oder ablehnen. Es ist also keiner ein Verbrecher, wenn er sich nicht impfen lässt. Ich finde es unmöglich, wenn Ungeimpfte verunglimpft werden.

Was meinen Sie, Herr von Gizycki: Sollte die Corona-Impfung eine freiwillige Entscheidung jedes einzelnen Menschen bleiben oder sollte die Impfpflicht für alle kommen?

von Gizycki: 100 000 Tote sprechen ihre eigene Sprache. Und es ist erwiesen, dass diese 100 000 Menschen durch das Corona-Virus gestorben sind. Die Leute, die jetzt auf den Intensivstationen mit Corona liegen, sind vorwiegend nicht geimpft. Natürlich: Alle, die sich nicht impfen lassen wollen, haben auch das Recht dazu. Dagegen kann man gar nichts sagen. Aber natürlich muss man auf der anderen Seite auch sagen, dass ein Nichtgeimpfter ein potenzieller Überträger ist für andere Menschen. Das ist ein Problem. Die Nichtgeimpften haben auch eine Mitverantwortung dafür, wenn die Pflegekräfte auf den Intensivstationen bis zum Umfallen arbeiten. Und diese Mitverantwortung dürfen wir nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass es hier um Gemeinwohlziele von überragender Bedeutung geht. Das Gemeinwohl wird verstanden als Gegenstück zu bloßen Einzel- oder Gruppeninteressen innerhalb einer Gemeinschaft. Ich habe nicht das Recht so zu handeln, wie ich will, wenn es gegen das Wohlergehen aller verstößt.

Gemeinwohl vor Individualinteressen - gehen Sie da mit, Frau Schröder-Roßbach?

Schröder-Roßbach: Es heißt im Grundgesetz: Die Würde des Einzelnen ist unantastbar - und das ist auch richtig so. Natürlich bringt jede Krankheit Leid. Aber wo will man da anfangen? Wenn einer Extremsport macht und verunglückt, hat er ein Recht darauf, auf der Intensivstation behandelt zu werden? Hat er für die Allgemeinheit gehandelt? Einer, der unter diesen Zivilisationskrankheiten leidet, inwieweit ist er selbst schuld? Inwieweit ist man überhaupt an Krankheit schuld? Das ist ganz gefährlich, wenn man auf diese moralischen Sachen anspielt. Rüdiger, bei der Demonstration hast Du gesagt: "Impfgegner haben ihr Recht auf Freiheit dort verloren, wo sie das Leben anderer in Gefahr bringen." Ich möchte Dich fragen: Wie weit würdest du gehen? Was willst du mit den Menschen machen, die sich nicht impfen lassen? Bekommen sie ein Aussätzigen-Schild, werden sie abgeschoben oder in eine Einrichtung gebracht? Das ist ja eine ganz schwierige Frage mit der Schuld bei Krankheiten. Das ist ein ganz schmaler Pfad, auf den Du Dich da begibst.

von Gizycki: Es geht nicht um Schuld von Krankheit, sondern es geht um die Schuld, verantwortungslos zu handeln Ich liebe ja den Albert Schweitzer. Der hat gesagt: "Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will." Was er meint, ist, dass mein eigenes Leben, das ich gern leben will, nicht soweit in seinen Rechten ausgedehnt werden kann, dass das Leben anderer gefährdet wird. Danach hat man sich zu richten. Man muss sich zurücknehmen. Und der Staat hat aus meiner Sicht eine Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Gesunderhaltung stattfinden kann - und das tut er über das Infektionsschutzgesetz. Er hat darauf gesetzt, dass die Leute freiwillig zur Vernunft kommen. Aber offenbar ist es mit der Freiwilligkeit nicht so weit her. Und weil das so ist, muss der Staat Regelungen einführen.

Sie meinen die Impfpflicht. Befürworten Sie diesen Weg?

von Gizycki: Ja, ich befürworte die Impfpflicht. Zumindest sollte sie bereichsbezogen eingeführt werden, etwa bei Pflegekräften oder Menschen in sozialen Berufen, die viel Kontakt mit Menschen haben.

Eine Impfpflicht für das Personal in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten - könnten Sie damit leben, Frau Schröder-Roßbach?

Schröder-Roßbach: Zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht, es ist handelt sich ja noch um einen Notfallimpfstoff. Im Übrigen: Pflegekräfte, die sich nicht impfen lassen, sind nicht alle verantwortungslose Menschen. In den Krankenhäusern und Heimen arbeiten viele Frauen, auch alleinerziehende, die sind auf den Beruf angewiesen. Sie können sich nicht erlauben, dort aufzuhören. Eine Impfpflicht könnte die schwierige Arbeitsmarktlage in den Gesundheitsberufen noch verschärfen. Wenn eine Impfpflicht kommt, muss vorher sauber geklärt werden, ob der Nutzen wirklich größer ist als der Schaden. Ich möchte, dass man alle Fakten zusammenträgt. Das gehört zu einer Demokratie. Im Augenblick ist es bei uns so, dass dieses Impfen unsere Gesellschaft spaltet, das ist aus meiner Sicht die größte Gefahr.

Was hat Sie, Frau Schröder-Roßbach, veranlasst, an der Seite der "Sonntagsspaziergänger" zu sprechen, die Ärzte beleidigen, rechte Parolen verbreiten und die Zeitung als "Lügenpresse" beschimpfen?

Roßbach-Schröder: Ich habe es schon einmal gesagt und es ist wirklich fatal, wenn man mir nicht glaubt: Ich war nicht auf deren Veranstaltung. Punkt. Ich wäre an jenem Tag da gar nicht hingegangen, hätten der Rüdiger und die Grünen nicht zur Gegendemonstration aufgerufen.

Aber er hat die Demonstration doch als Privatperson auf die Beine gestellt...

Schröder-Roßbach: Nein, es war ein Aufruf der Grünen.

von Gizycki: Darf ich das mal aufklären? Ich habe diese Demonstration aus rein persönlichen Gründen angezettelt, weil ich mich furchtbar über die "Sonntagsspaziergänger" geärgert habe. Es geht ja schon ein halbes Jahr so, dass von den Impfgegnern und Corona-Leugnern in übelster Weise jeden Sonntag gehetzt wird. Du warnst vor einer Spaltung der Gesellschaft, Elke, aber diese "Sonntagsspaziergänger" grenzen sich ja selber aus. Wenn man in dieser unflätigen Art und Weise öffentlich auftritt, muss man sich nicht wundern, wenn auch öffentlich geantwortet wird. Ich finde es wichtig, da den Mund aufzumachen. 

Schröder-Roßbach: Und ich fand es wichtig, nach Deinem hassbesetzten Aufruf etwas zu sagen.

von Gizycki: Das war kein Hass, sondern ein emotionaler Ausbruch, eine Wut, zu der ich auch stehe und die ich als berechtigt empfinde.

Die "Sonntagsspaziergänger" verbreiten keinen Hass, Frau Schröder-Roßbach?

Schröder-Roßbach: Das sage ich doch gar nicht. Sie fragen mich jetzt bestimmt als nächstes, ob ich mich von den "Sonntagsspaziergängern" distanziere? Ich distanziere mich weder von den "Sonntagsspaziergängern" noch von den Menschen, die auf Deiner Demo waren, Rüdiger. Warum? Weil ich sie gar nicht richtig kenne. Ich kann mich höchstens von meiner politischen Partei distanzieren und sagen, was sie da macht, geht mir gegen den Strich.

Würden Sie sich als Querdenkerin bezeichnen?

Schröder-Roßbach: Ich denke ganzheitlich. Nach wie vor. Ich bin keine Wissenschaftsfeindin, bin aber der Meinung, dass man viele Seiten von Wissenschaft braucht.

Fühlen Sie sich bei den Grünen noch wohl?

Schröder-Roßbach: Ich mag die Menschen. Politisch fühle ich mich dort derzeit aber nicht wohl. Ich hoffe, dass man sich wieder darauf besinnt, faktenbasiert zu arbeiten. Und ich wünsche mir eine Demo unter dem Motto "Geimpft oder ungeimpft: Wir lassen uns nicht spalten" - mit der Forderung zur sofortigen Rückgabe aller Grundrechte.

Rüdiger von Gizycki

Der Cuxhavener Rüdiger von Gizycki ist 71 Jahre alt und Mitglied bei den Grünen. Weil er sich über die "öffentliche Hetze gegen Ärzte und Pflegekräfte"auf den Kundgebungen der impfkritischen Bewegung "Cuxhaven geht spazieren"geärgert hat, organisierte der ehemalige Fachkrankenpfleger in der Anästhesie und Intensivpflege eine Gegendemonstration auf dem Cuxhavener Kaemmererplatz, an der Ende November rund 100 Menschen teilnahmen. Sein Protest wurde vom Ortsverband der Grünen unterstützt.

Elke Schröder-Roßbach

Elke Schröder Roßbach bestimmte den Kurs der Cuxhavener Grünen über viele Jahre entscheidend mit, gehörte sogar zu den Gründungsmitgliedern der Partei. Nach jahrzehntelanger politischer Arbeit ist die 69-Jährige im vergangenen Jahr aus dem Rat der Stadt Cuxhaven ausgeschieden. Zuletzt haderte die gelernte Arzthelferin mehr und mehr mit ihrer Partei. Als sie bei einer Protestveranstaltung die Corona-Beschränkungen und die Impfung von Kindern kritisierte, gingen die Grünen auf Distanz zu ihrem Mitglied.

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Christian Mangels

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

cmangels@no-spamcuxonline.de

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