Einige Teilnehmer der Anti-Corona-Demonstrationen in Cuxhaven kommen auch mit ihren Kleinkindern zum Protest. Was geht in diesen Eltern vor? Eine Familie hat von ihren Beweggründen erzählt, die Kinder könnten ja schlecht alleine zu Hause bleiben, sagen die Eltern. Fotos: Bohlmann-Drammeh
Einige Teilnehmer der Anti-Corona-Demonstrationen in Cuxhaven kommen auch mit ihren Kleinkindern zum Protest. Was geht in diesen Eltern vor? Eine Familie hat von ihren Beweggründen erzählt, die Kinder könnten ja schlecht alleine zu Hause bleiben, sagen die Eltern. Fotos: Bohlmann-Drammeh
Anti-Corona-Protest

Warum eine Cuxhavener Familie jede Woche am "Sonntagsspaziergang" teilnimmt

07.02.2022

KREIS CUXHAVEN. Jeden Sonntag treffen sie sich auf dem Kaemmererplatz mit Gleichgesinnten - ihre beiden Kleinkinder immer dabei. Was motiviert junge Eltern aus der Mitte der Gesellschaft, sich gegen die Corona-Maßnahmen zu wehren und Seite an Seite mit Menschen zu demonstrieren, denen es augenscheinlich auch um die Destabilisierung der Gesellschaft geht? Ein Annäherungsversuch.

Im Carport des Einfamilienhauses im Neubaugebiet parkt der VW Passat, neben der Haustür prangt ein getöpfertes Namensschild, im Flur hängen personalisierte Kindergarderoben aus Holz, im Garten wartet die selbst gebaute Matschküche darauf, von einem der beiden Söhne im Kleinkindalter bespielt zu werden - das Familienidyll springt einem bei Familie Hansen* schon beim Betreten der Auffahrt ins Auge. Tim und Lena sind verheiratet, haben zwei Söhne, drei und ein Jahr alt. Er ist berufstätig, sie mit den Kindern zu Hause in Elternzeit, beide sind gut ausgebildet.

Kritik an Medien

Tim ist gegen das Corona-Virus geimpft, in seinem Beruf ist es Pflicht, sie ist bewusst nicht geimpft. "Jede Infektion stärkt das Immunsystem", argumentiert sie. Impfungen gegen andere Erkrankungen, wie etwa die Masernimpfung, sehen die beiden hingegen nicht so kritisch wie die Covid-19-Schutzimpfung. "Den Masern-Impfstoff gibt es schon viel länger, er ist viel erprobter", sagt Tim. Lena ergänzt: "Auch Geimpfte erkranken immer wieder an Corona, auch schwer." Beispiele dafür kennen sie nicht.

Schwurbler-Argumente

Dass eine Impfung nicht gegen eine Infektion schützt, sondern nur gegen schwere Verläufe, ist ihnen in den "Mainstream-Medien" wie sie sie nennen, nicht ausreichend kommuniziert worden. "Es wurde vieles anders dargestellt am Anfang", sagen die beiden und führen aus: Das Coronavirus sei nicht neu, die Bürger alle "Teil einer Studie" und "Testpersonen". Für was oder wen die Bürger aus ihrer Sicht so instrumentalisiert werden sollen, sagen die beiden nicht. 

Gut auf Gespräch vorbereitet

Tim argumentiert sehr vehement, er spricht mit lauter Stimme, hat sich auf das Gespräch offenbar gut vorbereitet. Die Fragen wollten beide vorab schriftlich haben, Tim hat sich Notizen gemacht und für viele seiner Argumente Zahlen und Quellen notiert. Lena ist zurückhaltender, sie nickt zwar bei vielem, was ihr Mann sagt, ist rhetorisch aber etwas differenzierter. Dem Gespräch mit der Zeitung haben die beiden schnell zugestimmt, allerdings anonym. Sie wollen zwar, dass ihre Sicht der Dinge einmal dargestellt wird, wollen aber aus Angst vor Anfeindungen nicht namentlich genannt werden.

Kritik an Inzidenz

Tim und Lena kritisieren vor allem die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen und den aus ihrer Sicht indirekten Zwang zur Impfung. "Ungeimpfte können nicht mal mehr mit ihren Kindern ins Schwimmbad", beschwert sich Tim. Die beiden sind sportlich, mit ihrem ersten Sohn waren sie noch beim Babyschwimmen - vor Corona. "Jeden zu impfen und den Impfstatuts zu kontrollieren, ist auch ein ganz schöner Aufwand", argumentiert Lena. Beide wünschen sich eine differenziertere Darstellung der Lage in den Medien und nutzen dafür ein altes Argument aus der Querdenker-Szene: "Man könnte auch darstellen, wie viele Menschen gesund geblieben sind und nicht, wie viele erkrankt sind, dann sähe die Situation ganz anders aus", sagt Tim.

Informationen aus dem Netz

Was genau die von ihnen als Mainstream betitelten Medien berichten, wissen sie indes kaum. "Wir schauen keine Nachrichten im Fernsehen, das war auch schon vor Corona so", sagen beide. Die Tageszeitung vor Ort lesen sie auch nicht. "Ab und zu hören wir Radio, NDR Info, um auf dem Laufenden zu bleiben", sagt Tim. Die Informationen über die Pandemie suchen sie sich im Internet zusammen. Reitschuster.de nennt er als Quelle und fügt gleich an: "Das ist kein Verschwörungsquatsch, das ist alles mit Quellen belegt."

Boris Reitschuster als Quelle

Boris Reitschuster ist Journalist, hat bis 2015 das Moskauer Büro des Nachrichtenmagazins "Focus" geleitet und bedient mit seiner Berichterstattung inzwischen vor allem die rechte Szene. Reitschuster ist Ende Dezember 2021 von der Bundespressekonferenz ausgeschlossen worden - weil er den Firmensitz seiner Webseite nach Montenegro verlegt hat. Laut Vereinssatzung der Bundespressekonferenz dürfen daran aber nur Journalisten teilnehmen, deren Arbeitssitz in Berlin ist. Die Anhänger der Querdenker-Szene und viele der Corona-Kritiker behaupten hingegen gerne, Reitschuster sei ausgeschlossen worden, weil er "als einziger" unter ansonsten "gleichgeschalteten Journalisten" kritische Fragen stelle.

Kritische Haltung gefordert

Um eine kritische Haltung geht es auch Lena und Tim. "Wir empfinden es so, dass die Mehrheit der Leute keine eigene Meinung hat, dem folgt, was in den Medien gesagt wird", ärgert sich Tim. Mit ihrer Teilnahme an den Sonntagsspaziergängen wollen die beiden Aufmerksamkeit erregen. "Die Leute sind erschöpft von den vielen Corona-Maßnahmen, wir wollen sie wachrütteln", sagt Lena. Denn angesichts der aktuellen Infektionszahlen frage sie sich schon, was für einen Nutzen die Corona-Maßnahmen überhaupt hätten. Dass Deutschland ohne die Maßnahmen vermutlich viel mehr Tote zu verzeichnen hätte, das Gesundheitspersonal am Limit arbeitet und die große Mehrzahl derer, die mit einem schweren Verlauf derzeit im Krankenhaus liegt, ungeimpft ist, wischen die beiden als Argumente einfach bei Seite. "Wir wollen das Virus nicht verharmlosen, es ist schon gefährlich. Aber Kinder zu impfen, halten wir nicht für angebracht", sagt Tim hingegen.

Mitlaufen in Cuxhaven

Dass es den "Sonntagsspaziergängern" in Cuxhaven nicht nur um Corona, sondern auch um demokratische Destabilisierung geht, wollen beide nicht wissen. Dass die Proteste vielerorts auch von Rechtsextremisten organisiert oder für Auftritte genutzt werden, hören sie nach eigenen Angaben zum ersten Mal.

Distanzierung von den Schildern

Auch die Schilder mit den fragwürdigen Parolen wie "Impfdiktatur" oder auch "Impfen macht frei" in Cuxhaven wollen sie nicht gesehen haben, die Beschimpfungen der Presse nicht gehört. "Ich kann ja nicht sagen, ich gehe da nicht hin, weil jemand anderes die Presse beschimpft", rechtfertigt Tim. Lena ergänzt, sie würden auch nicht mit jedem Schild übereinstimmen, was in Cuxhaven gezeigt wird. "Aber ich kann als einzelner nicht die Verantwortung für die Gruppe übernehmen", betont Tim. Mitlaufen können sie schon.

*Namen von der Redaktion geändert

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