Patient Frank Vaorin liegt im Krankenhausbett und hält die Zaunstange in der Hand, die seinen Körper durchbohrte.
Patient Frank Vaorin liegt im Krankenhausbett und hält die Zaunstange in der Hand, die seinen Körper durchbohrte.
Einsatzleiter Feuerwehr berichtet

Cuxhavener Retter und der durchbohrte Mann: "So ein Szenario kann man nicht üben"

von Maren Reese-Winne | 18.11.2023

Das Szenario, das sich den Rettern am 27. September 2023 im Garten des Cuxhaveners Frank Vaorin bot, hätte schrecklicher nicht sein können. Beim Sturz vom Baum hatte sich ein Zaunpfahl durch den Rumpf des Mannes gebohrt. Der Einsatz im Rückblick.

Bei Baumschnittarbeiten in seinem Garten in Cuxhaven fiel der 55-jährige Frank Vaorin von einer Leiter vier Meter tief auf eine Zaunstange - und wurde von ihr aufgespießtDer Altenbrucher - bei vollem Bewusstsein - steckte hilflos feststeckte und drohte weiter abzurutschen.

Wie blicken die Rettungskräfte auf diesen Einsatz zurück?

Das wundersame glückliche Ende der dann folgenden Rettungsaktion war da noch nicht zu erahnen. Wie blicken die Rettungskräfte der Berufsfeuerwehr Cuxhaven auf diesen Einsatz zurück? Darüber hat Redakteurin Maren Reese-Winne mit dem Brandamtmann Arne Rüting, an dem Tag Einsatzleiter für den Bereich der Feuerwehr, gesprochen.

Herr Rüting, wie hat sich Ihnen die Lage an der Einsatzstelle präsentiert?

Ich war an dem Tag Fahrzeugführer des HLF (Hilfeleistungslöschgruppenfahrzeug), das zusammen mit dem Notarzteinsatzfahrzeug als First Responder ausgerückt war. Das ist gängige Praxis, wenn aktuell kein Rettungswagen zur Verfügung steht. Tatsächlich hat uns dieser dann schon auf der Anfahrt überholt. Die Alarmmeldung lautete "Sturz aus großer Höhe" (größer als drei Meter). Da ist man schon auf ein schlimmeres Geschehen eingestellt. Beim Eintreffen rief der Kollege des Rettungsdienstes mir gleich die Worte "Pfählungsverletzung, alles mitbringen!" zu. Als ich zur Unfallstelle am hinteren Ende des großen Gartens kam, klammerte sich der Patient an dem Rohr, das durch seinen Körper ragte, fest und konnte trotz der schweren Verletzung noch sprechen, eine fast surreale Szenerie. Für einige Momente sprang ich hinzu, um den Patienten zu stützen, kurz darauf wurde ich abgelöst und konnte die Einsatzleitung übernehmen. Parallel erfolgte die Versorgung des Patienten durch den Notarzt. 

Brandamtmann Arne Rüting von der Berufsfeuerwehr Cuxhaven übernahm die Einsatzleitung Feuerwehr an der Unfallstelle. Für den erfahrenen Feuerwehrmann,der auch Brandschutzbeauftragter der Stadt Cuxhaven ist, war dies ein Einsatz, den er in seiner Karriere nicht mehr vergessen wird. Foto: Reese-Winne

Haben Sie eine derartige Situation schon einmal erlebt?

In über 25 Jahren Rettungsdienst nicht ein einziges Mal. Pfählungsverletzungen kennt man aus dem Lehrbuch. Oberstes Gebot: Alles, was im Körper steckt, bleibt auch am Unfallort und beim Transport im Körper, denn der eingedrungene Gegenstand wirkt wie eine Tamponade auf die verletzten Blutgefäße. Es war also klar: Das Rohr musste mit.

War bestimmtes technisches Equipment zur Befreiung notwendig?

Nichts Außergewöhnliches. Das Rohr mit seinem ja schon beachtlichen Durchmesser wurde mit einer Rettungsschere durchtrennt, der Maschendrahtzaun mit einem Bolzen- und einem Seitenschneider. Den Patienten stabilisierten ein Kollege und ich währenddessen mit einem Spineboard (festes Tragbrett), damit er nicht weiter abrutschen konnte.

Kann man eine solche Situation überhaupt üben?

So etwas kann man nicht simulieren. Natürlich ist die Fixierung von Gegenständen im Körper Teil der Rettungsdienstausbildung und das Üben mit technischem Gerät ist erst recht Alltag. Doch bei so extremen Szenarien ist immer sehr viel Improvisation gefragt. Wir sind gute Improvisateure, das zeichnet die Feuerwehr aus. Alle Gedankengänge werden zusammengeführt. Wir geben nicht auf, bis wir eine Lösung finden. Alleine geht so etwas nicht, wir sind Teamplayer, das ist ein ganz wichtiges Standbein der Feuerwehrarbeit.

So war es auch hier. Alle haben ihre Aufgabe übernommen und dann gemeinsam geholfen, den freigeschnittenen Patienten auf der Trage des Rettungswagens zu lagern und später auf die des Rettungshubschraubers aus Bremen umzuheben. Zuvor haben wir zusammen mit der Leitstelle eine geeignete Landungsstelle für den Hubschrauber gesucht und mit unseren Fahrzeugen die Straße gesperrt. Das Gleiche gilt fürs Aufräumen: Man hilft sich gegenseitig, bis der Einsatz beendet ist. Wir fühlen uns da als eine Familie.

Patient Frank Vaorin im Krankenbett; auf dem Handy ein Foto von der Stelle, an der die Stange aus seinem Oberkörper wieder herauskam. Foto: Gesundheit Nord - Klinikverbund Bremen, Kerstin Hase

Ist während eines solchen Einsatzes eigentlich ständig die Leitstelle über das Geschehen informiert?

Man versucht, die Leitstelle jederzeit im Bilde zu halten, damit sie über die Situation informiert ist und gegebenenfalls weitere Kräfte nachschicken kann. 

Wie kann man lernen, in einer solchen Situation Ruhe zu bewahren?

Das ist tatsächlich etwas, das durch die Aus- und Weiterbildung trainiert wird. Jeder weiß, wie er welche Geräte - ob im Rettungsdienst oder bei der technischen Hilfeleistung - anwenden muss, jeder kennt seine Aufgabe. Du tauchst ein in die Situation, das ist wie ein Räderwerk, das abläuft, ohne dass man noch ein Zeitgefühl hat. Auch an dem Tag ist alles sehr ruhig abgelaufen.

Wie ist der Tag nach dem Abtransport des Patienten weitergegangen?

Nach dem Reinigen und Aufräumen des Rettungswagens bin ich noch mal zum Grundstück der Familie gefahren und habe sie informiert, welche Klinik der Hubschrauber ansteuern wird. Dabei habe ich sie auch auf die mögliche Begleitung durch die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) hingewiesen. Das ist ein Beistand durch einen Seelsorger oder eine Seelsorgerin. Mit ihm oder ihr kann das Geschehen besprochen werden. Alles ist möglich: Reden, Schweigen, Weinen.

Welche Hilfen können Einsatzkräfte in Anspruch nehmen?

Das Angebot der PSNV steht auch Einsatzkräften zur Verfügung. Wir waren uns schon vor der Rückfahrt einig, dass wir unter uns auf jeden Fall eine Nachbesprechung zu diesem Einsatz machen. Der Bedarf, solche Einsätze in Gesprächen aufzuarbeiten, ist da und das wird auch angeboten. Jeder erhält dabei die Gelegenheit, über das Erlebte zu sprechen und zu sagen, was ihn oder sie bedrückt. Dieses ist auch eine Verpflichtung der Einsatzleiter. Auch die ganz normalen Gespräche auf der Wache helfen bei der Verarbeitung. 

Werden die Erkenntnisse aus solchen Einsätzen auch in die Ausbildung übernommen und was haben Sie daraus gelernt?

Ausbildung profitiert immer von der Erfahrung und diese wird auch in den Gesprächen weitergetragen. Für mich hat sich noch einmal bestätigt, dass unsere gute Ausbildung fruchtet. Die immer wiederkehrenden Übungen mit den Geräten ist unabdingbar und zahlt sich angesichts der Vielfalt unserer Einsätze immer wieder aus. Nicht zuletzt können wir alle auf unsere wertvollen Erfahrungen aus unserer praktischen Ausbildung - meist in einem Handwerksberuf - zurückgreifen, die vor der Feuerwehrausbildung erfolgt ist. So war der Einsatz zwar sehr spektakulär, aber letztlich doch Alltag.

Wie haben Sie aufgenommen, wie glimpflich der Unfall für den Verletzten ausgegangen ist?

Man darf da wohl wirklich vom "Wunder von Altenbruch" sprechen. Es war schon ein besonderes Gefühl, Herrn Vaorin so kurz nach dem Unfall auf eigenen Beinen im Fernsehen zu sehen. Das ist echt toll und freut mich für ihn, seine Familie und alle beteiligten Kollegen.

Hintergründe zum Unfall und zum "Altenbrucher Wunder"

Frank Vaorin aus Altenbruch wollte am 27. September in seinem Garten mit einer Elektro-Kettensäge Baumschnittarbeiten durchführen. Dabei stürzte er vor den Augen seines 21-jährigen Sohns ab und landete auf dem Zaunpfahl eines Maschendrahtzauns. Die metallene Stange durchbohrte ihn vom Gesäß bis unterhalb des Schlüsselbeins, wo sie herausragte. Wie durch ein Wunder wurden keine Organe oder lebenswichtige Blutgefäße verletzt. Die Ärzte des Klinikums Bremen-Mitte, das die Pressemitteilung zum Unfall herausgab, wollen den für jeden von ihnen einzigartigen Fall international publizieren.

Sie waren im Einsatz

Mehrere TV-Sender, auch das NDR-Gesundheitsmagazin "Visite" haben, bereits berichtet. Im  Einsatz am Unfallort waren die vier Besatzungsmitglieder des HLF (Hilfeleistungslöschgruppenfahrzeugs) mit Arne Rüting als Einsatzleiter Feuerwehr der Berufsfeuerwehr Cuxhaven, die zweiköpfige Rettungswagenbesetzung (kam aus Richtung Hadeln hinzu), der Notarzt Dr. Wolfram Beres und der zugehörige Rettungsassistent oder Notfallsanitäter (Berufsfeuerwehr Cuxhaven), gleichzeitig Rettungsdienstlicher Einsatzleiter.

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

mreese-winne@no-spamcuxonline.de

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