
Härte und Menschlichkeit: Wie der Cuxhavener Polizist Jan Abbes mit Attacken umgeht
Ein Cuxhavener Polizist, der im Gerichtssaal von einem Angriff berichtet und privat als Triathlet neue Kräfte tankt: Jan Abbes zeigt, wie man zwischen Härte im Beruf und Menschlichkeit im Alltag balanciert. Doch was treibt ihn wirklich an?
Es ist ein Donnerstagvormittag im großen Sitzungssaal des Cuxhavener Amtsgerichts. Vorn, am Zeugenstand, steht ein 35-jähriger Polizeikommissar. Gelassen, sachlich, ohne jede Pose nimmt er Platz. Jan Abbes schildert, was er erlebt hat: Ein Mann, alkoholisiert, fixiert, spuckt Gift und Galle, schlägt den Kopf nach ihm, beißt in seinen Oberarm. Ein Angriff im Streifenwagen, ein Einsatz, der aus dem Ruder lief.
Die Öffentlichkeit im Saal verfolgt aufmerksam, was der Beamte erzählt. Abbes selbst bleibt bei den Fakten. Keine Übertreibung, keine Dramatisierung. Als sei es für ihn Routine, Teil des Berufs. Und doch ahnt man: Ganz spurlos geht das nicht an ihm vorbei.
Ein paar Tage später besucht er am Morgen die Redaktion im Pressehaus am Kaemmererplatz. Er trägt seine Uniform, der Dienst beginnt an diesem Dienstag erst gegen Mittag. Doch in diesem Augenblick sitzt hier nicht der Polizist, hier sitzt Jan Abbes: ein Cuxhavener, Familienvater, Sportler und Nachbar. Einer, der seine Stadt kennt, der in ihr verwurzelt ist.
"Frau, Kind, Haus, Hund - alles dabei"
"Ich bin hier groß geworden und wollte auch nie wirklich weg", sagt er. Er lacht, als er das aufzählt, was sein Leben ausmacht: "Ausbildung, Studium, Frau, Kind, Haus, Hund - alles dabei." Und dazu sein Beruf. Ein Beruf, der oft von anderen mit harten Bildern verbunden wird: Blaulicht, Stress, Gewalt. Für Abbes bedeutet er aber auch Nähe, Verantwortung, Gemeinschaft.
Sein Sohn ist acht Jahre alt. "Ich will ein Vater sein, der mit seinem Kind Fahrrad fahren kann, der beim Fußballspielen mithält, der nicht schon nach zwei Minuten keucht", sagt er. Deshalb trainiert er. Joggen, Schwimmen, Radfahren - am liebsten alles zusammen. Ein Triathlon-Fan, der oft schon im Morgengrauen unterwegs ist, wenn die Stadt noch schläft. "Das ist mein Ausgleich. Da tanke ich Kraft."
Alltag im Streifendienst
Sein beruflicher Alltag hingegen verlangt ihm ganz andere Kraft ab. Als Polizeikommissar ist er Teil einer Einheit, die sich um Fahrtüchtigkeit kümmert - Alkohol, Drogen, Medikamente im Straßenverkehr. "Es ist schon erstaunlich, wie viele Menschen immer noch denken, sie könnten mit Restalkohol oder nach Joint und Tablette problemlos fahren", erzählt er.
Jeder Einsatz sei anders. Mal bleibe es bei einer Ermahnung. Mal eskaliere es. "Man hat es mit Menschen zu tun, die in Ausnahmesituationen stecken. Manche sind hilflos, manche aggressiv, manche verzweifelt." Abbes sagt diesen Satz ruhig, ohne Pathos. Er hat gelernt, sich nicht mitreißen zu lassen. Doch einige Szenen gehen nicht immer spurlos an ihm vorbei. "Die körperlichen Schmerzen nach einem Angriff vergehen. Aber die Gedanken, die bleiben."
Verletzungen und Erinnerungen
Der Biss im Dienst, über den er vor Gericht sprach, war nicht der einzige Vorfall. Abbes kennt auch Krankenhausaufenthalte nach Einsätzen. Blaue Flecken, Prellungen, Nächte im Bereitschaftszimmer. "Das gehört dazu", sagt er nüchtern. Und doch bleibt in seiner Stimme ein Unterton, der zeigt: Man steckt das nicht einfach so weg.
Was ihn davor bewahrt, hart oder gar zynisch zu werden, ist sein Blick auf den Menschen hinter der Situation. "Ich unterscheide klar: Das ist nicht der Mensch, das ist die Lage, in die er geraten ist." Ein Satz, der viel über ihn verrät.
Zu Hause ist Abbes einfach Jan. Dann zählt nicht die Uniform, dann zählt die Familie. Seine Frau, sein Sohn, der Familienhund, das Haus in der Stadt. "Das ist mein Hafen. Da tanke ich auf."
Sein Sohn sei sein größter Motivator, erzählt er. "Wenn ich sehe, wie er mich anschaut, will ich einfach nur, dass er stolz auf seinen Papa ist." Für den Jungen ist er kein Polizist, sondern der, der mit ihm Fußball spielt, der Geschichten vorliest, der beim Lego-Bauen nicht kneift. "Das sind die Momente, die ich festhalten will."
Der Blick über den Tellerrand
Und dann gibt es noch die Reisen. "Urlaub ist für mich der Beweis, dass Probleme relativ sind", sagt Abbes. Ob Reisen nach Kroatien oder in die USA - jeder Tapetenwechsel zeige ihm, wie klein die eigenen Sorgen im Vergleich zur Welt seien. "Man kommt zurück und sieht alles klarer. Das erdet."
Sein Traum? Einmal mit seiner Familie nach Hawaii. Nicht nur zum Urlaub. Sondern vielleicht, um einen Triathlon mitzuerleben. "Nicht unbedingt selbst laufen - das ist eine andere Liga", sagt er und lächelt. "Aber die Atmosphäre spüren. Das wär's."
"Der Mensch dahinter"
Im Frühjahr trat Abbes bei einer besonderen Ausstellung in Erscheinung: "Der Mensch dahinter". Eine Wanderausstellung, die Polizisten nicht als Uniformträger zeigte, sondern als Menschen mit Geschichten. Abbes erzählt an diesem Morgen im Cuxhavener Pressehaus noch von einem anderen Einsatz, der ihm nachhaltig in Erinnerung geblieben ist: Ein Auto brannte, Mutter und Kinder standen daneben. Während die Feuerwehr löschte, ging er mit seiner Kollegin los und holte Eis für die Kinder.
"Das war nichts Großes", sagt er. "Aber die Kinder haben gelacht. Sie haben für einen Moment vergessen, was vorgefallen war." Genau dafür, meint er, sei er Polizist geworden: Menschen zu helfen, sie in Notlagen nicht allein zu lassen.
Kein Held, sondern Nachbar
Abbes selbst stellt sich nicht gern ins Rampenlicht. Er will nicht als Held gelten. "Ich bin ein ganz normaler Mensch, der hier lebt und arbeitet", sagt er. Ein Nachbar, der morgens den Müll hinausbringt, der sonntags beim Bäcker Brötchen holt, der mit dem Hund unterwegs ist.
Und doch ist er einer, den man braucht. Einer, der im entscheidenden Moment Verantwortung übernimmt. Einer, der weiß, dass Uniformen Distanz schaffen können - und der deshalb nie vergisst, dass hinter jeder Uniform, auch seiner eigenen, ein Mensch steckt.
Epilog im Gerichtssaal
Als er im Amtsgericht Cuxhaven aussagte, hörte man einen Satz besonders klar. Richter Stefan Redlin fragte ihn, wie er die Situation erlebt habe, als die Freundin des Angeklagten eingriff. Abbes antwortete: "Das hatte schon etwas von einer Gefangenenbefreiung." Keine Empörung in seiner Stimme, nur nüchterne Feststellung.
Vielleicht ist genau das sein Geheimnis: die Fähigkeit, Distanz zu wahren, ohne kalt zu werden. Mit beiden Füßen im Leben, fest verankert in seiner Stadt, bei seiner Familie. Zwischen Uniform und Triathlonrad. Zwischen Härte und Menschlichkeit. Jan Abbes - einer von uns.