Joachim Gauck im Cuxhavener Stadttheater: "Das Recht muss sich verteidigen"
Joachim Gauck ruft zur Verteidigung der Demokratie auf. In Cuxhaven warnt er vor Bedrohungen von innen und außen und betont die Notwendigkeit, unsere Werte zu schützen und sich klar gegen Populismus und autoritäre Kräfte abzugrenzen.
Es gibt ein paar Journalisten, die bei der Erwähnung von Joachim Gauck müde abwinken. Der alte Mann und die Freiheit - alte Platte, tausendmal abgespielt. Doch wie schon im Mai bei der Verleihung des Otterndorfer Voß-Preises an den Bundespräsidenten a.D. standen die Zuhörerinnen und Zuhörer am Ende im voll besetzten Stadttheater auf und spendeten minutenlang Applaus, bis ihn der Gefeierte mit bescheidener Geste beendete.
"Dieses Land braucht viele Verteidiger" der freiheitlichen Demokratie
Es muss also doch etwas dran sein an dieser Freiheit, die dem 85-Jährigen so viel bedeutet. Vor allem, weil sie in dieser Zeit so vielen Gefahren und Gefährdungen ausgesetzt ist, dass ihre zuvor so selbstverständlich scheinende Existenz mit einem Mal nicht mehr so selbstverständlich ist und verteidigt werden muss. "Dieses Land braucht viele Verteidiger" der freiheitlichen Demokratie, sagte Joachim Gauck am Schluss seiner Lesung aus dem Buch "Erschütterungen", das er gemeinsam mit der Publizistin Helga Hirsch geschrieben hat und in dem es um die Bedrohung der Demokratie von innen und außen geht.
Wobei: Eine Lesung war es eigentlich nicht, was Gauck auf der Theaterbühne vollführte, es war ein freier Vortrag über gut zwei Stunden, in denen der körperlich wie geistig überaus vitale Mann seinem Publikum den Ernst der Lage schilderte, aber auch Wege aufzeigte. "Wir dürfen denen, die unsere Werte verachten, nicht unsere Angst schenken", sagte Gauck. "Das Schicksal ist nicht unabwendbar. Handeln hilft."
Überschwänglich hatte Cuxhavens Oberbürgermeister Uwe Santjer den Bundespräsidenten zuvor im Stadttheater begrüßt und seine Begeisterung über den prominenten Gast hielt auch bis zum Ende des Abends an. Dazwischen verortete Joachim Gauck die äußere Bedrohung unserer liberalen Demokratie beim russischen Präsidenten und seinen imperialen Gelüsten. Im Inneren seien es die autoritären populistischen Kräfte, die sich gegen Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit richten. Zu lange seien die Gefahren übersehen worden, meinte Gauck.
Dem Aggressor Putin nicht auf den Leim gehen
Zu lange seien auch deutsche Intellektuelle darauf hereingefallen, wenn Putin der NATO und dem Westen die Schuld an der aktuellen Krise gebe. Das sei nichts als ein Mythos, um von den wahren Gründen der russischen Aggression abzulenken. Der Abschied von einer Partnerschaft mit Russland falle offenbar einigen bis heute schwer. Die Ostpolitik der 1970-er Jahre unter der Devise "Wandel durch Annäherung" wirke bis heute nach. Jedoch: "Teile der deutschen Politik sind realitätsblind", meinte Gauck. Jener Politikansatz sei nicht gut gealtert. Wer einen Verbrecher wie Putin, der das Recht missachte, nicht als solchen bezeichne, der verharre im Wunschdenken. Mindestens genauso peinlich sei die seltsame Unterwürfigkeit der AfD gegenüber dem Aggressor. Spätestens seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 gebe es keinen Zweifel an Putins Absichten mehr. Es sei ein gutes Werk, der Ukraine Beistand zu leisten, sagte Gauck. Hilfe zu verweigern, sei Verrat, die "Verneinung unserer Werte". "Das Recht muss sich verteidigen. Gebete allein halten Diktatoren nicht auf."
"Sprecht nicht wie die, die Ihr politisch bekämpft!"
Mit der gleichen Unmissverständlichkeit zielte Joachim Gauck auf die Feinde der Demokratie im Inneren. Woher kommen Unbehagen und Frust bei etwa einem Drittel der Bevölkerung?, fragte er. Es sei eine Mischung aus Angst vor Veränderungen, vor Risiken, eine Überforderung durch Krisen, die diese Menschen in die Arme der Populisten trieben. "Wenn die etablierten Parteien keine Antworten geben, driften sie ab." Nicht soziale, sondern kulturelle Fragen ließen diese Menschen nach Rechtsaußen abgleiten.
Und doch sei es immer noch möglich, diese vermeintlich für die liberale Demokratie Verlorenen zu einem großen Teil zurückzugewinnen. "Dazu braucht es eine erkennbar stringente Führung", so Gauck. Auch eine klare Benennung der Probleme und eine lebendige Debattenkultur sei dafür erforderlich. Einen Rat gab er den demokratischen Kräften mit auf den Weg: "Konservative sollten keine Ressentiments schüren wie die Rechtsextremen. Sprecht nicht wie die, die Ihr politisch bekämpft!" Von einem Verbot der AfD hält Joachim Gauck nichts. "Wir müssen uns klar von ihnen abgrenzen und wir müssen sie stellen."


