
Kai Rudls "Zeitreise" in Otterndorf: Frisch restaurierte Gloger-Orgel verzaubert
Der Kreiskantor und Organist Kai Rudl hat zum 625. Stadtjubiläum Otterndorfs den musikalischen Bogen vom Mittelalter bis hinein in unsere Tage gespannt. Auf der frisch restaurierten Gloger-Orgel gab es ein besonderes Konzert.
Dass das Prachtstück von St. Severi, die gerade fertig restaurierte Gloger-Orgel, zu Otterndorfs 625-Jahr-Feier mit im Spiel sein würde, war klar. Vergangenen Sonntagnachmittag erklang sie auf einer "musikalischen Zeitreise", die Kreiskantor und Organist Kai Rudl zusammengestellt hatte und zur Freude seiner zahlreichen Zuhörer in all ihren ganz unterschiedlichen Facetten erklingen ließ.
Der klangliche Bogen dieses Spätnachmittags spannte sich von mittelalterlichen Anfängen mit einem "Stampftanz" aus dem Robertsbridge Codex über Johann Kuhnaus 1. Biblische Sonate, Beethovens Adagio F-Dur "für eine mechanische Orgel" und Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge d-moll BWV 565 bis hin zu Mendelssohn und Hans Zimmers Filmmusik zu "Instellar". Durchs Programm führte Pastorin Franziska May, die mit kurzen informativen Texten gewissermaßen die Verbindung zwischen den Musikepochen und den sich wandelnden sechs Jahrhunderten schuf.
Der berühmte "Otterndorfer Orgelstreit"
Dass das musikalisch ausgesprochen spannende Zeiten waren, konnte man am Sonntagnachmittag in St. Severi sozusagen hörend verfolgen. Balthasar Resinarius' aus dem 16. Jahrhundert stammende Choralbearbeitung "Nun bitten wir den Heiligen Geist" verweist zum Beispiel nicht nur auf die für die Orgelmusik in der Kirche so bedeutende Gattung der Choralbearbeitungen, sondern auch auf den berühmten "Otterndorfer Orgelstreit". Für die Entwicklung der im kirchlichen Raum "konzertant" erklingende Orgel sollte der fortan entscheidend werden.

Sieht man einmal von der so glanz- wie wirkungsvollen Bachschen Toccata und Fuge d-moll ab (mit einer von Kai Rudl nicht minder glänzend gespielten Toccata), war die weitaus weniger populäre Komposition von Johann Kuhnau -seine "Biblische Sonate Nr. 1: Der Streit zwischen David und Goliath" - eigentlich das interessanteste Stück in diesem Programm. Kuhnau, Jurist, Musiker und Universalgelehrter, bescherte seinen Zeitgenossen nämlich mit seinem sechs "Sonaten" umfassenden Werk "Musicalische Vorstellung einiger biblischer Historien" aus dem Jahr 1700 etwas völlig Neues: Programmmusik. Dabei verbindet er gesprochene Texte mit melodramatisch ausgeschmückter Musik.
Spannend zu verfolgen für den Zuhörer
Erzählt werden bekannte Geschichten aus der Bibel, wofür der Komponist die Stilmittel der Oper wie des Oratoriums nützt und es am Ende in die Tastenmusik überträgt - zum Hausgebrauch für den interessierten Laien wie für die große Orgel. Das Ganze ist spannend zu verfolgen für den Zuhörer, der sich gewissermaßen mitten im Geschehen wähnt, und mehr noch für den an der Orgel alle Register ziehenden Interpreten.

Natürlich war Kai Rudls "Musikalische Zeitreise auf der Gloger-Orgel" auch eine Klangreise durch die vielfältigen Farbfacetten des Instrumentes. Zusammen mit der Lüdingworther Wilde-Schnitger-Orgel und der Klapmeyer-Orgel in Altenbruch bildet es nun einen bedeutenden historischen Dreiklang und hat als die größte Barock-Orgel im Elbe-Weser-Dreieck entscheidendes Gewicht. Die Erwartungen der Fans barocker Orgelmusik an die Gloger-Orgel und kommende Konzerte sind hoch. Für manchen Puristen unter ihnen käme da schon der gleichfalls zur "Zeitreise" gehörende Mendelssohn (zwei Sätze aus dessen Sonate Nr. 3 A-Dur) einer Anfechtung gleich. Und Hans Zimmers "Instellar"-Filmmusik, vergangenen Sonntag in einer Bearbeitung für Orgel von Richard McVeigh zu hören, ginge überhaupt nicht.
Publikum staunt über die Gloger-Orgel in Otterndorf
Doch wahrscheinlich muss man das nicht alles so eng sehen, zumal das Ziel der "Musikalischen Zeitreise" ja auch ein anderes war. Das Publikum jedenfalls hat es genossen und gestaunt, was auf der Gloger-Orgel so alles möglich ist. Und - nicht zu vergessen - für die Konfirmandinnen und Konfirmanden, die wie einst zu Bachs Zeiten bei seiner "Toccata und Fuge" die Bälge treten durften, war es bestimmt ein so aufregendes wie bleibendes Erlebnis.
Von Ilse Cordes