
Gewalttätige Kinder in Cuxhaven: Aus Schockstarre lösen, endlich hinsehen (Kommentar)
Die Übergriffe auf Seniorinnen in Cuxhaven wühlen auf. Dabei kündigt sich diese Entwicklung schon lange an. Bei der sich nicht erst ankündigenden Verrohung muss viel früher eingegriffen werden, meint unsere Redakteurin. Ein Kommentar.
Diese Grenzüberschreitung weckt Gefühle. Das beweisen die durch Fassungslosigkeit, Hilflosigkeit und Fragen geprägten Gespräche über die in den vergangenen Tagen bekannt gewordenen Angriffe auf Seniorinnen in Cuxhaven. Ob die Geschehnisse zusammenhängen, haben nicht wir zu ermitteln, aber die Bestürzung ist groß, dass es in beiden Fällen offensichtlich Kinder waren, die mit den Übergriffen in einem gemeinsamen Akt Macht über Schwächere ausüben wollten.
Erst zehn und zwölf Jahre alt: Allein das Alter bestürzt und dann noch die Schilderung von blankem Hass und Häme und sogar die Bereitschaft zu körperlicher Gewalt, die die Opfer erleben mussten. Das war kein Streich und kein vorpubertärer Übermut. Weil aber Kindern in dem Alter zugestanden werden muss, dass sie die Tragweite des Handelns womöglich noch nicht erkennen, müssen eben die Erwachsenen ran und viele von diesen wissen längst, dass das Beschriebene längst kein Einzelfall mehr ist.

Verrohung und Machtspiele werden bereits aus der Kita berichtet und setzen sich in der Grundschule fort. Kinder kommen aufgeheizt aus dem Wochenende zurück. Selbst erlebte oder in den Medien aufgeschnappte Gewalterfahrungen schlagen sich im Wortschatz nieder, pornografische Darstellungen verstören und schüren ein unterwürfiges Frauenbild. Kinder, die damit früh konfrontiert würden, glaubten, dass Rohheit und Verachtung eben der normale Weg der Kommunikation sei, berichten Fachleute.
Bekannt ist das alles - inklusive der Folgen, nämlich einer sich stetig nach oben entwickelnden Gewaltspirale. Aber das pädagogische Fachpersonal, das das alles auffangen soll, wird allein gelassen, hat Angst und sieht sich mit Eltern konfrontiert, die bei der Konfrontation im besten Fall nur mit dem Anwalt drohen. Das muss aufhören. Wegschauen und hoffen, dass einige Wenige es schon auffangen werden, funktioniert nicht.

Natürlich ist Cuxhaven kein Einzelfall, auch nicht bei der Beobachtung, dass sich auch unter Erwachsenen der Ton verschärft. Aber eine Stadt, die sich selbst Thesen eines guten Miteinanders aufgestellt hat, steht in einer besonderen Verantwortung. Es braucht eine offene und ehrliche Diskussion in der Stadt, aber auch staatliche Institutionen, die klare Ansagen in den Elternhäusern machen können und pädagogisches Personal stärken und schützen. Dazu müssen Jugendamt, Polizei, Schulen und Kitas aber auch entsprechend stark aufgestellt werden.
Da die Statistik bei der Entstehung späterer Straffälligkeit eine klare Sprache spricht, kann dort kein Euro zu viel investiert sein. Den in diesem Fall als Tatverdächtige geltenden Kindern kann und muss meiner Meinung nach sehr wohl Recht und Unrecht vor Augen geführt werden, und das auf dem Weg über das Elternhaus. Diesen Weg hat bei der Beteiligung Minderjähriger das Jugendamt zu gehen, denn natürlich geht es bei all dem auch um den Schutz der Kinder. Uns allen wünsche ich eine Kultur des Zusammenstehens und Hinsehens, die nicht zulässt, dass alte Leute vor Angst allein in den Wohnungen zurückbleiben.