So haben die Hemmoorer Notfallseelsorger den Kindern am Bahnsteig helfen können
HEMMOOR. Bei dem Bahnunglück in Hemmoor wurden auch zahlreiche Kinder Zeuge davon, wie eine Frau bei einem tragischen Unfall stirbt. Die Notfallseelsorger, die am Montag vor Ort waren, erklären was ihnen und ihren Familien jetzt hilft, das Erlebte zu verarbeiten.
Manchmal passieren, völlig aus dem Nichts, Dinge, mit denen wir nicht gerechnet haben. Situationen, auf die wir uns nicht vorbereiten konnten, mit denen wir jedoch plötzlich umgehen müssen. So geschehen am vergangenen Montag in Hemmoor. Eine 37-jährige Frau wird am Bahnhof von einem Zug erfasst und stirbt. Zahlreiche Schülerinnen und Schüler stehen währenddessen am Bahnsteig und müssen den Unfall hautnah miterleben.
"Nichts beschönigen"
Drei von ihnen finden im DRK-Einsatzfahrzeug Zuflucht. "Wir wollten sie erst einmal aus dieser Situation rausholen und ihnen einen isolierten Raum geben, in dem sie für sich sind und nicht von allen angeschaut werden", betont Friedrich von Saldern.
Er ist Kreisbereitschaftsleiter beim Deutschen Roten Kreuz Land Hadeln und am Montag am Einsatzort dabei. "Ich habe selbst drei Kinder und habe mit den Jugendlichen offen gesprochen. Es ist wichtig, nichts zu beschönigen." In seinem Job hat der 40-Jährige immer wieder mit ähnlichen Situationen zu tun.
Offen über Erlebtes sprechen
Unter seinen Kolleginnen und Kollegen würde offen über Einsätze gesprochen, "um das Ganze nicht zu sehr an uns heranzulassen". Besonders wichtig sei auch, den eigenen Zustand so anzunehmen, wie er nun einmal ist. "Das auch ernst zu nehmen, was da gerade passiert ist, ist immens wichtig."
Schließlich habe jeder Mensch individuelle Bedürfnisse. "Ich kann einen Verstorbenen oder Blut vielleicht besser sehen als jemand anderes." In diesen Momenten darüber zu sprechen, auch mit einer professionellen Person, sei eine wichtige Methode, die Bilder zu verarbeiten. "Wir haben intern auch jemanden, mit dem wir in einem geschützten Raum über das Erlebte sprechen können. Sich das von der Seele zu reden ist wunderbar." Auch, dass Betroffenen nicht jemand gegenübersitzt, der meint, man solle sich nicht so anstellen, sei wichtig, um sein Leben irgendwie weiterleben zu können.
Menschen trauern verschieden
Wie Menschen trauern, sei von Person zu Person unterschiedlich. "Erst einmal den Abstand zur Situation zu schaffen, ist gut und wichtig", bestätigt auch Jan Lohrengel. Er ist seit Anfang 2021 Pastor der Kirchen im Osteland und hat sich als Notfallseelsorger besonders ausbilden lassen.
"Die Seelsorge ist eine Grundaufgabe der Kirche, das war sie schon immer. Die Notfallseelsorge ist eine Sonderseelsorge, die sich erst mit der Flutkatastrophe in Hamburg entwickelt hat", erzählt er. Hierbei gehe es vor allem um Situationen außerhalb der Norm, "bei denen alles zusammenbricht", schildert Lohrengel. Dazu gehören etwa der Tod eines nahestehenden Menschen, ein schwerer Unfall, ein Verbrechen oder das Erleben eines Unglücks.
Hilfe holen
"Bei Kindern ist das mit der Trauer noch einmal etwas anders als bei Jugendlichen. Sie trauern ,in Pfützen‘", stellt er bildhaft dar. "Kinder, die so etwas Schlimmes erleben müssen, können in einem Moment tieftraurig sein und im anderen Moment ,himmelhochjauchzend‘ herumspringen. Das kommt immer wieder." Betroffenen Familien rate er stets, sich Hilfe zu holen. "80 Prozent unserer Einsätze finden im geschlossenen Raum statt. Dass wir unsere lilafarbenen Westen anziehen müssen, weil wir an einen Einsatzort gerufen werden, kommt ganz selten vor." Die Einsatzkräfte der Polizei und der Rettungsdienste können rund um die Uhr die Bereitschaft der Seelsorgerinnen und Seelsorger in Anspruch nehmen oder für andere anfordern, heißt es auf der übergeordneten Webseite.
Einfache Dinge helfen
"Das ist unsere Aufgabe", sagt Lohrengel mit glänzenden Augen. Besonders in akuten Zeiten stünden er, seine Kolleginnen und Kollegen Betroffenen zur Seite und helfen, den Boden unter den Füßen wiederzufinden.
Meistens sei der Einsatz der Notfallseelsorge damit beendet, dass das Netzwerk der Betroffenen beginne zu funktionieren. "Freunde, Eltern, Geschwister - wer auch immer dann gerade um einen herum ist. Diese Menschen machen das meistens noch besser als wir", so Lohrengel. Selbst die einfachsten Dinge würden dabei helfen, mit schlimmen Situationen umzugehen. "Etwas trinken, etwas Gesundes essen, es fängt mit einfachsten Dingen wieder an. Auch Kindern hilft das." Auch nichts zu verschweigen und das Erlebte klar auszusprechen helfe. "Manchmal schaffen Eltern es aus eigener Kraft nicht, ihren Kindern eine schlimme Nachricht zu überbringen. Auch dann helfen wir."
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