Eine deutsche Familie in Cadenberge: Amer Mawed (34) und Hadil AbuQasem (31) mit ihren Kindern Milan und Cilan sind nicht mehr staatenlos, sondern seit dieser Woche eingebürgert. Fotos: Kramp
Eine deutsche Familie in Cadenberge: Amer Mawed (34) und Hadil AbuQasem (31) mit ihren Kindern Milan und Cilan sind nicht mehr staatenlos, sondern seit dieser Woche eingebürgert. Fotos: Kramp
Heimatland Deutschland

Wie eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien in Cadenberge heimisch wurde

von Wiebke Kramp | 26.03.2022

CADENBERGE. Sie galten als Staatenlose ohne Land und ohne Pass. Im Zuge der Flüchtlingswelle fanden die Eheleute Hadil und Amer 2015 im Otterndorfer Camp Zuflucht. Mittlerweile ist Cadenberge zu ihrem Zuhause geworden.

Aus ihrer Flucht vor Krieg und Gewalt entwickelte sich in Sicherheit eine Geschichte mit einer guten Wendung. Die Palästinenser aus Damaskus in Syrien und ihre beiden in Deutschland geborenen Kinder sind seit dieser Woche die erste Generation ihrer Familien mit einer Staatsangehörigkeit. Es ist die deutsche.

Kein Märchen aus tausendundeiner Nacht: Es ist eine wahre Geschichte - und sie handelt von Krieg, von Flucht, von Ankunft und Neuanfang. Wir schreiben den Höhepunkt der Flüchtlingswelle, die von einen Tag auf den anderen an den Elbdeich schwappte. Es ist die Zeit von Merkels "Wir schaffen das". Und so schaffte man das seinerzeit an der Niederelbe: Das Sommercamp in Otterndorf-Müggendorf wurde flugs zum Flüchtlingscamp umfunktioniert. Anfang September 2015 endete hier die Flucht von Hadil AbuQasem und Amer Mawed aus Syrien.

Bewohner der ersten Stunde

Sie waren Bewohner der ersten Stunde. Zunächst wollten sie wie alle anderen gar nicht aus dem Bus steigen. Sie wollten in Häuser und nicht in Zelte. Erst Samtgemeindebürgermeister Harald Zahrte bewegte die Geflüchteten dazu, den Bus in der Nacht zu verlassen. Hier konnten sie zur Ruhe kommen, hier wurden sie nicht durch Bomben geweckt, sondern durch Vogelzwitschern und Blätterrauschen. Das Camp hinterm Elbdeich bot eine sichere Zuflucht auf Zeit. "Wir waren aber so naiv. Wir wussten gar nichts über die Kultur und hatten keine Vorstellung davon, wie hier das Leben ist. Wir wollten einfach nur weg aus dem Krieg."

Schnell entstand im Camp so etwas wie Alltag - und Englischlehrerin Hadil und Uni-Dozent Amer waren stets vorn dabei, wenn es darum ging, mitzuhelfen - egal ob es sich um Warenausgaben oder Übersetzungsdienste handelte. Sie fielen positiv auf. Vom ersten Tag an halfen sie aktiv, damit das Leben rund laufen konnte. Es war ihr Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber den Gastgebern. Wenn man etwas bekommt, muss man auch etwas geben. Für sie war solche Haltung gelebte Selbstverständlichkeit. Und beide entwickelten einen festen Willen und Wege, in Deutschland zu bleiben und sich hier ganz bewusst zu integrieren. Und sie legten Tugenden an den Tag, die man eigentlich den Menschen in Deutschland zuschreibt. Mit Zielstrebigkeit lernten beide vom ersten Tag an ehrgeizig und konsequent die deutsche Sprache. Besuchten alle erforderlichen Kurse, als sie schließlich Mitte Oktober 2015 erst in Neuhaus und später in Cadenberge in Wohnungen unterkamen. Eigenes Geld zu verdienen und unabhängig zu sein, stand ganz oben auf der Agenda. Sie bauten sich ein komplett neues Leben auf.

Familie in Cadenberge geründet

In Cadenberge fühlen sie sich immer noch sehr wohl. Hier gründeten sie ihre Familie. Tochter Cila erblickte im Dezember 2016 das Licht der Welt, Sohn Milan im Dezember 2021. Amer unterrichtet als Englischlehrer an den BBS Cadenberge - von der Bauklasse bis zum Fachoberschüler. Auch Hadil unterrichtet dort, aber wegen des Babys zurzeit nur mit einem geringen Stundenkontingent. "In den vier Stunden in der Woche kümmert sich Amer dann um Milan." Vorher hat sie noch bei der VHS unterrichtet und immer noch leistet sie gern Übersetzungsdienste bei der Caritas.

Die fünfjährige Cila besucht den St.-Nicolai-Kindergarten in Cadenberge. Sie ist ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen, singt, lacht und tanzt gern. Zurzeit stehen Faschingslieder hoch im Kurs. Von der Cha-Cha-Cha tanzenden Kuh Agathe kennt sie alle Liedstrophen. Hadil entschied sich im vorigen Jahr nach reiflicher Überlegung, den Hijab - also das Kopftuch - abzulegen. Bis dato hatte sie es als Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit verstanden. "Das war der richtige Schritt und eine Erleichterung, schließlich wollte ich mich anpassen. Ich fühle mich angekommen." In dieser Woche kamen die Einbürgerungsurkunden. Ein unglaublicher Moment, ein großartiges Glücksgefühl.

Mit Pass und Perspektive

Um dies nachzuempfinden, muss man wissen, dass bereits ihre Eltern als Palästinenser in Syrien den Status und das Stigma "Staatenlos" trugen. Sie sind die erste Generation mit Pass und Perspektive. "Dieses Dokument gibt uns das Recht, uns einer Heimat zugehörig zu fühlen." Zum ersten Mal überhaupt: "Wir sind stolz darauf, dass die Staatenlosigkeit auch für die kommenden Generationen beendet ist."

Nach diesem Tag fühlten sie sich nicht mehr ausgegrenzt. Sie seien in der Lage, in andere Länder zu reisen und Familienmitglieder wiederzusehen. Hadil möchte demnächst ihre Mutter in Irland besuchen, wo sie Zuflucht gefunden hat. Amers alte Mutter lebt weiter in Damaskus. Dorthin zu reisen, erscheint ihm zu gefährlich. Beide sind dankbar für die Mitmenschlichkeit und jeden, der sie auf dem Weg bis hierher unterstützt hat. Und was ist jetzt der nächste Schritt? Amer hat ein Ziel fest im Visier. Er möchte gerne verbeamtet werden. Eine ganz normale deutsche Familie eben.

Kein unbeschwertes Leben

Doch bei aller Freude über ihr eigenes Glück können sie in diesen Tagen, in denen in der Ukraine Bomben fallen, nicht unbeschwert sein. Die Erinnerungen sitzen zu tief. Bei der ersten Mahnwache in Cadenberge waren sie dabei. Amer sagt nachdenklich: "Wir haben schließlich selbst erlebt, dass Krieg hässlich ist. Man mag es nicht glauben, dass es so etwas 2022 noch gibt und verrückte Leute wie Putin so etwas anrichten - aber in Syrien macht er es schon seit sechs Jahren." Und seine Frau meint traurig: "Als es in der Ukraine angefangen hat, war ich sofort traumatisiert." Hilfe und Unterstützung fand sie bei einem Arzt.

Hadil ist dabei, ein Buch zu schreiben. Sie schreibt es auf deutsch - "aber mit arabischer Seele". Es ist ihre und Amers Geschichte von Krieg, von Flucht, von Ankunft und von Neuanfang.

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Wiebke Kramp

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Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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