Wolf im Sahlenburger Wernerwald: Was seine Rückkehr für Mensch und Tier bedeutet
Ein Wolf im Wernerwald - so nah, dass der Morgen-Spaziergang einer Sahlenburgerin plötzlich zum Abenteuer wird. Was bedeutet das für eine Gesellschaft, die Weidehaltung und Tierwohl propagiert? Ein neues Kapitel beginnt.
150 Jahre lang war er weg. Ein Mythos, eine Fabelwesen-Debatte, ein Polit-Begriff. Und jetzt steht er plötzlich wieder auf dem Hauptweg im Wernerwald - 30 Meter entfernt von einer Sahlenburgerin, morgens kurz nach sieben beim Spaziergang mit dem Hund.
"Der Wolf stand der Frau mitten auf dem Hauptweg im Wernerwald gegenüber. Sie ging zurück. Und er lief hinter ihr her", berichtet Ortsbürgermeisterin Claudia Bönnen (CDU) am Montagabend auf der jüngsten Sitzung des Ortsrates Sahlenburg. "Das hat schon eine andere Qualität." Seit diesem Morgen sitzt der Wolf im Kopf. In Sahlenburg. Und im Ortsrat.
"Der Wolf lebt hier im Schlaraffenland"
Wolfsberater Heiko Hellmann stellt den emotionalen Diskurs erst einmal gerade: "Ein Wolf hat kein Interesse am Menschen. Wir passen nicht in sein Beuteschema. Wir riechen komisch. Wir sind Zweibeiner." Deutschland - sagt er - habe die wildtierdichteste Fläche Europas. Rehe als Hauptbeute. Problem werde der Wolf erst, wenn Menschen ihn konditionieren: "Kurti aus Munster war nicht böse - er war angefüttert."
Sichtungen - so Hellmann - sind Alltag. Und fast immer harmlos. "Die meisten telefonischen Meldungen laufen gleich: Wolf guckt. Mensch guckt. Dann geht er wieder."
"Früher waren überall Tiere draußen"
Doch es bleibt nicht bei Biologie. Denn draußen auf den Weiden zählt Ökonomie. Und Moral. Und Politik. CDU-Ortsratsmitglied und Landwirt Florian Menke sagt: "Für mich ist es einfacher, die Tiere im Stall zu lassen. Das ist voll schade." Weidehaltung - die politische Idealhaltung - kippt zuerst, wenn sie zum privaten Risiko wird. Wenn Tierwohl am Ende heißt: Beton und Stall. Und nicht: Gras und Fläche.

Ortsratsmitglied Andreas Wichmann (SPD): "Ich bin jetzt 61. Früher bin ich nachts von Brockeswalde zu Fuß nach Hause. Ich habe an alles gedacht - aber nicht, dass mich ein Wolf anfällt." Heute redet seine Tochter in Gudendorf bereits mit ihren Kindern darüber, abends nicht mehr allein am See langgehen zu dürfen. Die Angst ist bereits da, bevor irgendetwas passiert ist.
"Der Wolf ist nicht das Problem. Wir sind das Problem"
Dann kommt der Revierjäger Stefan Hahn. 55 Jahre Jagd. Spreewald. Berlin. Eine lebenslange Innenperspektive. "Ich halte einen Wolf niemals für einen Problemwolf. Dieser Begriff ist von Menschen gemacht. Der Wolf ist einfach Wolf." Hahn fordert ein europäisch übliches Jagdrecht auf Wolf. Nicht Ausrottung - Regulierung. "Wir möchten den Wolf nicht weghaben. Wir wollen ihm nur wieder Respekt beibringen vor dem Menschen."
Er erinnert daran: Kein Wildtier wurde in Deutschland durch Jäger ausgerottet. Und er weist auf einen fundamentalen Denkfehler: "Der Wolf ist nicht zurückgekehrt, weil wir ihn gerettet haben. Sondern weil wir ihn in Ruhe gelassen haben."
Fazit dieses Abends im Ortsrat: Sahlenburg ist nun Laborzweigstelle einer nationalen Frage geworden: Wie organisiert eine aufgeklärte, dicht besiedelte, hundeliebende, weidehaltende Gesellschaft die Rückkehr eines Spitzenprädators?
Der Wolf zwingt uns, Politik von hinten aufzuräumen. Vom Wald zurück zur Gesellschaft. Von der Emotion zurück zur Wirklichkeit. Der Wolf zwingt uns zur Wahrheit: Das 19. Jahrhundert ist vorbei. Die großen Tiere kehren zurück. Jetzt geht es darum, ob Deutschland lernfähig ist - oder ob Angst und Ideologie schneller wachsen als die Sachkenntnis.