
Syrerin aus Cadenberge: "Das Leid zu sehen, bricht uns das Herz" (Gastkommentar)
Hadil AbuQasem aus Syrien flüchtete 2015 nach Deutschland. Sie landete im Kreis Cuxhaven. Die Integrationsbeauftragte der Börde Lamstedt lebt mit ihrer Familie in Cadenberge. Dieser Tage geht ihr Blick in die Heimat - mit Freude und mit Sorge.
Die nachfolgenden Worte stammen von Hadil AbuQasem (Anm. d. Red.):
Die letzten Tage waren für uns von unglaublicher Intensität. Wir konnten kaum schlafen, unsere Gefühle sind völlig durcheinander. Auf der einen Seite sind wir überglücklich, dass eine Veränderung greifbar scheint. Auf der anderen Seite haben wir große Angst vor dem, was unsere Landsleute in Syrien nun erwartet. Dennoch hoffen wir aus tiefstem Herzen, dass das, was kommen wird, besser sein wird als das unfassbare Leid, das die Familie Al-Assad über das Land gebracht hat.
Besonders erschüttert hat uns in den vergangenen Tagen das Schicksal der Menschen, die aus den Gefängnissen des Regimes freikamen. Wir wussten um die Gräueltaten, aber das Leid mit eigenen Augen zu sehen, bricht uns das Herz. Kinder, Frauen und Männer, die nur für ihren Ruf nach Freiheit gefangen genommen wurden, kommen jetzt in einem Zustand frei, der uns sprachlos macht. Minderjährige Mädchen, die verhaftet wurden, verlassen die Gefängnisse als Mütter von Kindern, deren Väter sie nie kennenlernen werden - Kinder, die durch wiederholte Vergewaltigungen entstanden sind.
Wir sehen Männer, die als Jugendliche inhaftiert wurden und jetzt entlassen werden, ihre Identität verloren haben und nicht einmal mehr ihre Namen kennen. Kinder, die in Gefängnissen geboren und aufgewachsen sind, die keine Sonne und keine frische Luft kennen. Das Ausmaß dieses Traumas ist unvorstellbar.
Ja, es könnte sein, dass die Zukunft schwierig wird, aber nichts ist schlimmer als die Herrschaft der Familie Al-Assad. Dies ist nicht das Ende, sondern der Beginn einer neuen Ära. Unsere Hoffnung ist, dass die Menschen in Syrien endlich Frieden und Ruhe finden.
Was uns tröstet, ist die Vorstellung, dass die zahllosen ermordeten Menschen nun endlich in Ruhe schlafen können. Und dass Bashar al-Assad selbst als Flüchtling in Russland behandelt werden soll - ein Symbol für den Zerfall seines grausamen Regimes.
Schlimmer als das, was wir durchgemacht haben - eine Million Ermordete, 14 Millionen Vertriebene, Hunderttausende Gefolterte und 53 Jahre Unterdrückung - kann es kaum werden.
Die Kämpfer vor Ort sind keine Islamisten oder Dschihadisten, wie oft behauptet wird. Es sind Männer, die als Kinder ihre Heimat verloren haben und heute für die Rückkehr in ihr Land und die Freiheit ihres Volkes kämpfen.

Zur Person: Das ist Hadil AbuQasem
Hadil AbuQasem (36) ist Integrationsbeauftragte der Börde Lamstedt, mit ihrer Familie lebt sie in Cadenberge. Gemeinsam mit ihrem Mann Amer Mawed flüchtete sie 2015 von Damaskus in Syrien nach Deutschland. Sie landeten Anfang September 2015 im Sommercamp Otterndorf, das über Nacht zum Flüchtlingscamp wurde. Sie waren damals froh, endlich in Sicherheit zu sein. Im Gepäck hatten sie ihre Universitätsausbildung, einen Rucksack und viele schreckliche Erinnerungen an den Krieg. Seit März 2022 haben Hadil und ihr Mann die deutsche Staatsangehörigkeit.
