
Wattwagen-Unfall mit verletzten Kindern auf Neuwerk: Zeuge widerspricht Polizei
NEUWERK. Das Wattwagen-Unglück auf der Insel Neuwerk mit zwei verletzten Kindern bewegt die Reisegruppe noch immer. Einer der Väter möchte jetzt einiges klarstellen.
Diese Bilder lassen Julian Bachmann nicht so schnell los: Noch gut eine Woche nach dem Wattwagen-Unfall auf der Insel Neuwerk hat der Familienvater das Unglück, bei dem zwei Kinder anderer Eltern verletzt werden, haargenau vor Augen. Immer wieder fallen dem Cuxhavener weitere Details zum Hergang ein. Und seine Erinnerungen unterscheiden sich ganz deutlich von der Darstellung der Polizei.
Schönes Wochenende vor Augen
Es war Freitag, 24. Juni, als sich eine 30-köpfige Gruppe aus Cuxhaven, bestehend aus 18 Elternteilen und zwölf Kindern, auf den Weg nach Neuwerk machte, um zwei Nächte auf der Insel zu zelten. Julian Bachmann, einer der mitreisenden Väter, erinnert sich noch, dass es vor der Abfahrt mit den vier Wattwagen heftig gewittert hatte. Trotz Überlegungen, die Fahrt abzusagen, entschied sich die Gruppe letztendlich für den Wochenendtrip.
Die Wattwagen-Pferde hätten nervös gewirkt, erzählt Bachmann. Dies hätten er und die anderen Eltern am Verhalten der Tiere gemerkt. Die Galopper hätten sich gegenseitig weggeschoben, seien unruhig gewesen. Die Wattwagen-Fahrer hätten die Pferde beruhigen müssen.
Warten auf den Rest
Auf einem Neuwerker Hofgelände angekommen, stiegen die Urlauber von den Wattwagen. Einige Eltern und Kinder hätten bereits auf einer Wiese auf den Rest der Gruppe gewartet.
Dann passierte das Unglück: Laut Holger Vehren, Pressesprecher der Hamburger Polizei, hätten spielende Kinder auf dem Hof dafür gesorgt, dass zwei Pferde scheuten, durchgingen und den Wattwagen mitzogen.
Das hat Julian Bachmann anders in Erinnerung - ebenso wie die übrigen Eltern der Reisegruppe, wie er betont. Stattdessen sei in etwa 20 Metern Entfernung ein Trecker gestartet worden, der das Gepäck der Urlauber zum Zeltplatz bringen sollte.
Hat Lärm Pferde aufgewühlt?
Durch das Motoren-Geräusch hätten sich die beiden Pferde erschreckt. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Wattwagen-Fahrer bereits das Geschirr, das die Pferde bremsen sollte, gelöst, erzählt Bachmann. Der Kutscher, der gerade das Gepäck vom Wagen geholt habe, habe im letzten Moment von der Leiter springen können.
Die Pferde seien dann mit dem leeren Wattwagen im Schlepptau auf einen Teil der Gruppe zu galoppiert. Einige Personen hätten gerade noch zur Seite springen können.
Über den Kopf gerollt
Doch der Wagen erwischte ein Mädchen. Laut Polizei wurde die Fünfjährige am Bein verletzt. Auch hier hat Julian Bachmann andere Infos: Die Wagenräder seien über den Kopf des Kindes gerollt, erzählt der Familienvater: "Man sah auch die Spuren im Gesicht." Ob auch das Bein getroffen worden ist, kann er nicht sagen.
Der Bruder des Mädchens sei aber definitiv von der Kutsche am Bein verletzt worden. "Glücklicherweise wurden die beiden nicht von den Hufen getroffen", berichtet Bachmann erleichtert.
Rettungshubschrauber im Einsatz
Die Hamburger Polizei habe einen Hubschrauber geschickt. Neuwerker hätten den Insel-Notarzt gerufen. Die Fünfjährige, die bei dem Trip von ihrer Oma begleitet wurde, sei ansprechbar gewesen. Zusammen ging es zum Helikopter-Landeplatz, wo ein Rettungshubschrauber Kind und Großmutter einsammelte und ins Krankenhaus flog.
Der am Bein verletzte Bruder des Mädchens sei allerdings nicht mitgenommen worden und stattdessen bei den Feuerwehrleuten geblieben. Er sei am Abend gemeinsam mit einer Aufsichtsperson mit dem Schiff nach Hause gebracht worden. Wie es dem Mädchen jetzt geht, dazu kann sich Julian Bachmann nicht äußern. Denn es stünden wohl noch einige Untersuchungen an, wie er von den Eltern der beiden Kinder erfahren habe.
Auch Polizeisprecher Vehren hatte Ende der vergangenen Woche nichts zum Gesundheitszustand des Mädchens sagen können. Er gab zu bedenken, dass Kinder nach Unfällen für gewöhnlich zur Beobachtung in eine Klinik kommen.
"Sehr einseitige Darstellung"
Von einer "sehr einseitigen Darstellung" spricht Bachmann, nachdem er die Infos zur Kenntnis genommen hat, die die Polizei zu dem Unfall herausgegeben hatte. Er ärgert sich darüber, dass davon die Rede war, dass die spielenden Kinder das Durchgehen der Pferde ausgelöst hätten.
Dabei habe sich die Polizei bis zu diesem Zeitpunkt noch gar keinen umfassenden Überblick über das Szenario verschaffen können. Denn bis dahin hätten die Beamten nur die Hofbewohner zum Unfallhergang befragt. Die Mitglieder der Reisegruppe aus Cuxhaven hätten erst am vergangenen Wochenende Post bekommen, um eine schriftliche Stellungnahme abgeben zu können.
Ermittlungen gegen Wattwagen-Fahrer
Ermittelt wird jetzt laut Polizeisprecher Vehren gegen den 47-jährigen Wattwagen-Fahrer aus Cuxhaven - wegen fahrlässiger Körperverletzung. Am Montag meldete sich auch die Tierrechtsorganisation "Peta" zu Wort - und forderte den zuständigen Hamburger Verkehrssenator Anjes Tjarks angesichts des neuerlichen Wattwagen-Unfalls auf, "den Kutschbetrieb von und nach Neuwerk endlich zu verbieten".
Pferde seien "Fluchttiere, daher ist es generell fahrlässig, sie vor Kutschen einzusetzen. In und um Neuwerk ereignen sich besonders viele Vorfälle, sodass die einzige Lösung zum Schutz von Mensch und Tier ein Verbot von Kutschfahrten ist", so Peter Höffken, Fachreferent bei Peta. "Da die Gefährte weder über sichere Bremssysteme, Airbags noch eine Knautschzone verfügen, sind schwere Unfälle mit Kutschen vorprogrammiert."
Die Eltern des Mädchens seien vor allem an der polizeilichen Aufarbeitung interessiert, so Unfall-Zeuge Bachmann, der hofft, dass es dem verletzten Mädchen schnell wieder gut geht.
Kutsch-Unfälle
In der jüngeren Vergangenheit ereigneten sich mehrere Wattwagen-Unfälle mit Verletzten im Gebiet zwischen Cuxhaven und Neuwerk. Ein Überblick.
Februar 2019: Eine Kutsche verunglückt, als die Pferde durchgehen: Drei Fahrgäste und der Kutscher werden vom Wagen geschleudert und verletzt.
September 2019: Sechs Menschen werden verletzt - zwei davon schwer -, als der Wagen durch ein Loch im Wattboden rollt, eines der Pferde scheut und die Kutsche umstürzt.
September 2020: Eine Reiterin und eine Kutsche (Landauer) geraten in das Sahlenburger Loch. Die Kutsche stürzt um, eines der Pferde ertrinkt. Drei Personen werden leicht verletzt.