
Es begann im Königspalast
Seit 15 Jahren verbindet eine Ferienstraße die beiden letzten deutschen Schwebefähren
Die Idee keimte im spanischen
Königspalast, am
Rande einer Audienz,
die Juan Carlos I. im Herbst
2003 den Gründungsmitgliedern
des Weltverbandes der Schwebefähren
gewährte. Im Zarzuela
Palast in Madrid gedieh im
Gespräch mit den Bürgermeistern
von Osten sowie Rendsburg
und Osterrönfeld der Plan,
die beiden letzten deutschen
Schwebefähren an der Oste und
am Nord-Ostsee-Kanal (NOK)
durch eine Ferienstraße zu verbinden,
die dem Thema Gewässerquerungen
gewidmet sein
sollte: Furten, Fähren, Brücken,
Tunnel...
Als Endpunkte dieser „Deutschen
Fährstraße“ vorgesehen
waren Kiel, bis 1923 Standort
einer Schwebefähre auf
der Kaiserlichen Werft, und
Bremervörde, das seinen Namen
und seine Bedeutung der
dortigen Oste-Furt („vörde“)
verdankt. Noch am selben Wochenende
berichtete die Deutsche
Presseagentur aus Madrid
über das Fährstraßen-Konzept,
das Jochen Bölsche als frischgebackener
Vize-Präsident des
Weltverbandes vorgelegt hatte:
„Auf den gut 200 Kilometern
wären zahlreiche historische und
moderne Fähren zu besichtigen.“
Als Träger des schleswig-holsteinischen
Nordabschnittes der
Route hatte der Rendsburger
Bürgermeister Andreas Breitner
in Spanien die in seiner Stadt ansässige
Tourist-Info Nord-Ostsee
Kanal (Tinok) ins Gespräch
gebracht. Für den niedersächsischen
Südabschnitt sagte ich die
Gründung eines regionalen Trägervereins
zu.
Die Idee einer länderübergreifenden
„Fährienstraße“ zur touristischen
Stärkung mehr oder
weniger abgelegener Regionen,
fand rasch breite Zustimmung
– in den Staatskanzleien in Kiel
und Hannover ebenso wie in
vielen Kommunen und bei Vereinen,
darunter auch die rührige
Unternehmergemeinschaft
Hemmoor.
Am 13. Januar 2004 gründeten
Jochen Bölsche, seine Frau Renate
zusammen mit neun Einheimischen
im Hotel Fährkrug die
Arbeitsgemeinschaft Osteland.
Der Touristiker Gerald Tielebörger
übernahm den Vorsitz.
Damit startete eine Initiative,
die in den folgenden anderthalb
Jahrzehnten sehr viel mehr zu
Stande brachte als nur eine Ferienroute.
Heute gilt der Verein
als „Lobby für die Oste“ und als
die einzige ehrenamtlich geführte
Gewässergebietskooperation
Deutschlands. Im Zentrum der
Arbeit stand in den ersten Jahren
die „Erschließung der Natur
und Kulturgüter der Region
durch einen umweltverträglichen
Tourismus, insbesondere
durch Förderung von Wander-,
Rad- und Wasserwanderwegen
im Zuge einer Ferienstraße
(Deutsche Fährstraße)“.
In der Rekordzeit von weniger
als vier Monaten gelang es
dem winzigen Verein damals,
praktisch ohne Startkapital drei
verschiedene Routen für Rad-,
Auto- und Bootstouristen festzulegen,
Routenschilder und Werbematerialien
zu fertigen und
mit dem Mut des Autodidakten
eine Website zu erstellen, die
sich in den folgenden Jahren
neben Pressemitteilungen und
Prospekten als wichtigstes Werbemittel
bewähren sollte. In den
anderthalb Jahrzehnten seit der
feierlichen Eröffnung der Fährstraße
im Mai 2004 durch Politiker
und Touristiker von Oste
und NOK ist viel geschehen.
War die Route beim Start noch
die 150. deutsche Ferienstraße,
werden mittlerweile bundesweit
über 300 derartige Angebote
beworben; fast alle sind heute
finanziell und personell exzellent
ausgestattet. Trotz stetig
wachsender Konkurrenz (unter
anderem auch am NOK) findet
die Fährstraße dank klarer Streckenführung
und eingängiger
Thematik immer wieder viel positive
Resonanz, nicht zuletzt in
den Medien. Fachmagazine für
Motorradfahrer, Wohnmobilisten
und Oldtimer-Fans weisen
Frühjahr für Frühjahr auf die
Route hin, die „frohe ‚Fährien‘
im frischen Norden“ verspricht.
Die Deutsche Zentrale für Tourismus
bewarb sie zeitweise in
zehn Weltsprachen und reihte
sie unter die „Top 10“ der deutschen
Ferienstraßen ein, die
Frankfurter Rundschau sogar
unter die „Top 5“.
Inzwischen ist die Route auf
attraktive Weise vielfach ergänzt
worden: Im Süden hat sie durch
den Abschnitt Tostedt-Bremervörde
des Oste-Radweges
eine Verlängerung erfahren. Im
Norden wurde sie 2018 durch
eine Trassenvariante ergänzt, die
zur Störfähre nach Beidenfleth
führt. Osteland-Mitglieder waren
es auch, die ehrenamtlich
eine Nordstrecke für die Niedersächsische
Milchstraße rund
um Hasenfleet sowie eine Historische
Ostedeich-Route am
Unterlauf und den Historischen
Fährweg Osten - Basbeck samt
der Internationalen Schwebefähren
Infomeile entworfen haben,
die 2018 von der Stadt Hemmoor
aufs Neue straßenbaulich
aufgewertet wurde. Neben der
Werbung für die Fährroute hat
es die Arbeitsgemeinschaft von
ihrer Gründung an immer wieder
als eine zentrale Aufgabe angesehen,
für die Erhaltung und
Aufwertung der beiden Symbolbauten
der Route zu kämpfen.
Mit Hilfe aktiver Öffentlichkeitsarbeit
des Weltverbandes
gelang es, anfängliche politische
Widerstände gegen eine Sanierung
der vom TÜV stillgelegten
Oste-Fähre zu überwinden.
„Bild“ titelte: „Spanischer König
rettet deutsche Schwebefähre.“
Die schon 2003 formulierte Forderung
nach Anerkennung als
Weltkulturerbe (wie sie 2006 im
Fall der „Mutter aller Schwebefähren“
in Bilbao erzielt wurde)
gehört unverändert zu den Zielen
auch der Aktiven an Oste und
NOK. Die mittlerweile auch von
den Landesregierungen in Hannover
und Kiel geteilte Position
half, den technikgeschichtlichen
Wert der Bauwerke hervorzuheben
und die Akzeptanz für Ihre
Erhaltung und Rettung zu schaffen
– so als die NOK-Schwebefähre
2016 bei einer Havarie
irreparabel beschädigt worden
war und es galt, einen Neubau
politisch durchzusetzen. Parallel
dazu hat der Verein, der
binnen anderthalb Jahrzehnten
von 11 auf rund 650 Mitstreiter
gewachsen ist, sich mehr und
mehr auch als Interessenvertretung
für den „vergessenen Fluss“
bewährt.
Wieso vergessen? Die Oste ist
mit 140 Kilometern zwar der
längste Nebenfluss der Niederelbe
und ihr Einzugsgebiet mit
1800 Quadratkilometern größer
als die Bundesländer Hamburg
und Berlin zusammen. Und sie
ist für uns der schönste Fluss
weit und breit - von den Eisvogeltälern
und Kranichmooren am
Oberlauf über die von Neptun
regierte salzige Tideoste nördlich
von Bremervörde bis hin zu den
Seehundbänken in der Mündung
bei Balje - ein „Fluss, der alles
hat“. Aber die Osteregion war in
den zuständigen vier ostefernen
Kreisstädten lange Zeit vernachlässigt
worden. Den Winsenern
lag die Luhe näher, den Rotenburgern
die Wümme. In Stade
bewarb man lieber das Alte Land
am Elbstrom, in Cuxhaven lieber
die Nordseebäder. Wenn man
kurz nach der Jahrtausendwende
das Wort „Oste“ in die Suchmaschinen
eingab, erfuhr man erstmal
was über Osteoporose. Um
das zu ändern, galt es zunächst,
den Zusammenhalt der Aktiven
zwischen Quelle und Mündung
zu stärken - über politische Präferenzen
und über die Grenzen
der Landkreise WL, ROW, STD
und CUX hinweg.
Dazu dient nunmehr seit 15
Jahren in jedem Frühling der
„Tag der Oste“ mit der Verleihung
des sogenannten „Oste
Oscars“. Der bisher dank
Sponsoren mit insgesamt rund
60.000 Euro dotierten und an
fast 100 Frauen und Männer
20 OSTELANDMAGAZIN 2019