
Die Jahresuhr
steht
niemals still
Jannicke Maar (Kalifornien) blickt auf 2020 zurück
Trotz der Corona-Einschränkungen hatten Jannicke Maar und ihre Familie Gelegenheit, in der Natur in Bewegung zu kommen.
wahrheiten. Das nervenaufreibendste,
mit Spannung erwartete
Ereignis des Jahres. Nach langem
Zittern, wer denn nun endlich gewonnen
hatte, nun der verzweifelt
scheinende Kampf des Verlierers
um sein Amt. Die Kosten, auf die
das geschieht, sind erschreckend.
Und Corona geriet völlig in den
Hintergrund. Der Wahlausgang,
Nachzählungen und die Thanksgiving
Feiertage waren plötzlich
wichtiger. Die Menschen sind Corona
leid. Die Einschränkungen,
die Umstellungen, die persönlichen
Opfer.
Man sehnt sich wieder nach einem
Tapetenwechsel und die
Menschen reisten, trotz deutlicher
Warnungen, an den Thanksgiving
Feiertagen kreuz und quer
durchs Land zu ihren Familien.
Die logische Folge: ein extremer
Anstieg der Infektionszahlen. Corona
rächte sich und wir hatten
und haben seitdem eine schlimmere
Situation als im Frühjahr.
Und die Weihnachtsfeiertage stehen
noch an, man kann sich denken,
was das bedeutet.
Jetzt liegen alle Hoffnungen auf
den Impfstoffen, die zurzeit weltweit
hergestellt und getestet werden
und von denen sich jedermann
ein schnellstmögliches
Ende der Pandemie erhofft. Ob
das die Lösung sein wird, der Weg
zurück ins normale Leben, steht
in den Sternen.
Wir beschäftigten uns seit Ende
November mit dem anstehenden
Weihnachtsfest, Weihnachtsbaum
kaufen und schmücken,
Plätzchen backen und Briefe an
Santa schreiben. Die Erklärung
des Unterschieds zwischen Santa,
dem Weihnachtsmann, dem
Christkind und dem Nikolaus
(das überfiel uns spontan am Nikolaustag)
haben wir getrost aufs
nächste Jahr verschoben.
Tröstlich ist zu wissen, egal wie
gut oder – in diesem Fall – wie unangenehm
das Jahr doch war, es
wird weitergehen. Ein neues Jahr
wird in Kürze von vorne beginnen
und gibt uns die Möglichkeit, mit
dem alten Jahr, war es auch noch
so unschön, einschränkend,
manchmal auch zum Toben (ja,
auch ich bin öfter mal geplatzt),
abzuschließen. Es wird enden
und einem Neuanfang Platz machen.
Das ist tröstlich und stimmt
mich hoffnungsvoll.
Lassen Sie uns, liebe Leser, in
diesem Sinne auseinandergehen
und freudig auf das Bevorstehende
blicken, das neue Jahr. Ich
wünsche ihnen allen an dieser
Stelle ein frohes Weihnachtsfest
und ein hoffentlich gutes neues
Jahr, mit Gesundheit, neuer Kraft
und neuem Mut und vor allem
neuen Schwung, die kommenden
Hürden zu überwinden.
Mit herzlichen Grüßen aus Kalifornien
Ihre Jannicke Maar
ten. Daraufhin beschlossen sofort
einige Bekannte hier in Amerika,
ihr Leben wieder nach Deutschland
zu verlegen (dort ist ja alles
besser) und begannen mit der Planung.
Was sie nicht ahnen konnten,
war, dass nach der Sommerpause
die Infektionszahlen in
Deutschland so drastisch in die
Höhe schnellen sollten, sodass
der ersehnte Umzug nach
Deutschland eher zum Trip vom
Regen in die Traufe wurde.
Unsere Tochter startete Mitte
August ihre Vorschule, natürlich
online und sichtlich stolz auf ihren
eigenen Laptop (woraufhin
unser Sohn natürlich auch einen
eigenen wollte) und war ab sofort
beschäftigt und begeistert, was
auch für uns eine Erleichterung
des Alltags bedeutete. Sie ging so
freudig und wissbegierig an die
Sache heran, dass es bis heute
eine Freude ist zuzusehen.
So verging der Herbst, mit
Schule, Hausaufgaben machen
und nachmittags endlich wieder
auf die heiß geliebten und lang
vermissten Spielplätze gehen, die
bisher ja noch geschlossen waren,
zum Austoben (der Kinder).
Mit dem Jahr 2020 abschließen
Wie geht’s noch einmal in unserem
Lied weiter? „September,
Oktober, November, Dezember,
und dann, und dann fängt das
Ganze schon wieder von vorne
an.“ Na, wir hoffen nicht, dass die
Corona-Situation im neuen Jahr
schon wieder von vorne anfängt,
aber eines ist gewiss, ein neues
Jahr beginnt, das alte endet und
somit können auch wir alle, liebe
Leser, mit diesem extremen Jahr
abschließen.
Aber lassen Sie mich noch kurz
von unserem Winter berichten,
bevor das Jahr auch schon zu
Ende geht. Im November kam die
Wahl, auf die alle mit Sorge blickten
und die Sorge sollte sich beeinem
Rettungsschwimmer, strahlendes
Ebenbild eines Baywatch-
Schauspielers, dass das nichts Besonderes
sei und im Sommer oft
passiere. Ebenso erfuhren wir,
wie man das Gift des Stachels aus
dem Körper bekommt (mit warmem
Wasser, liebe Leser, sollten
sich demnächst auch ein paar
Verwandte dieses Rochens an die
Nordsee verirren, dann sind sie
nun gewappnet).
Auf den doch beachtlichen
Blutverlust erfolgte ein Krankenhausbesuch
(natürlich mit Corona
Test), da sich die Wunde natürlich
entzündete. Diese Folgen
eines kleinen Badebesuchs am
Strand (mit Rochen Jochen, wie
wir ihn jetzt nennen) beschäftigten
uns somit in den folgenden
Wochen zu Hause. Wenigstens
mal Abwechslung vom täglichen
Einerlei.
Das tägliche Einerlei sollte aber
auf ganz andere Art schnell für
uns zur Sicherheit werden, denn
ein anderes Extrem sollte uns für
die nächsten paar Monate in
Atem halten: Es brannte in Kalifornien.
Und zwar so schlimm wie
seit Beginn der Wetteraufzeichnungen
noch nicht. Extreme Trockenheit
und Winde verursachen
diese Situation, aber auch gerne
mal die maroden oberirdischen
Stromleitungen. Westlich, östlich,
nördlich und südlich von uns.
Überall war Feuer. Eines Morgens
wachten wir auf und das Blau des
Himmels, ein sonst untrügliches
Zeichen für Kalifornien, war verschwunden.
Es war orange draußen.
Tagelang. Das schlug uns
aufs Gemüt.
Der Rauch bildete dank ungünstiger
Wetterkonstellationen über
der Bay Area einen Deckel, konnte
nicht entweichen und verdunkelte
so das Sonnenlicht, bis alles apokalyptisch,
gespenstisch, gruselig
aussah. Es regnete Asche auf die
Autos, alles war von einem leichten
grauen Film überzogen. Es war
wie in einem Hollywood-Film:
Pandemie, Luft giftig, man war angehalten,
sein Haus nicht zu verlassen,
das Tageslicht war weg, die
Stimmung dementsprechend mies.
Wie gut, dass wir doch eine geräumige
Garage als Gartenersatz haben,
in der fortan getobt und gespielt
werden konnte.
Doch ein Lichtblick war in
Sicht. Gegen Ende August waren
die Feuer im Griff, und die Restriktionen,
zu Hause zu bleiben,
wurden weiter gelockert. Zu meiner
Freude machten die Einkaufs-
Malls wieder auf, was wenigstens
ein bisschen Ablenkung vom täglichen
Einerlei zu Hause bedeutete
(und diverse Kinderschuhe online
zu bestellen, festzustellen,
dass sie nicht passen und wieder
hin- und herzuschicken, macht
keinen Spaß). Allerdings verliefen
die Lockerungen nicht so weitreichend
wie in Europa, wohin wir
mit einem neidischen Auge schielmöglich,
an den Strand zu gehen!
Was also die ganze Woche tun?
Wie unterscheidet sich das Wochenende
von der restlichen Woche?
Was tun gegen die sich langsam
einstellende Langeweile und
Routine zu Hause?
Wir kauften uns alle Fahrräder.
Radfahren gilt nach wie vor als
Sport – und der ist noch immer erlaubt.
So erfreuten wir uns an unserer
neu gewonnenen Freiheit
und entdeckten die zahlreichen
Radwege rund um die Bay.
Restriktionen etwas gelockert
Wie geht es im Lied von Rolf Zuckowski
weiter? „Mai, Juni, Juli,
August, wecken uns allen die Lebenslust.“
Ja, Lebenslust, das ist
richtig. Da sitzt man schon mitten
im sonnigen Kalifornien und darf
nicht reisen. Das drückt die Lebenslust
und die Stimmung leider
deutlich. Nachdem wir gefühlt
den ganzen Juni mit dem Rad alle
erdenklichen Radwege rund um
die Bay ausgekundschaftet haben
und der anfängliche Enthusiasmus
unserer Tochter dem Radfahren
gegenüber merklich abflachte,
passte es gut, dass die Restriktionen,
zu Hause zu bleiben, gegen
Ende Juni wieder etwas gelockert
wurden.
Wir packten spontan unsere
sieben Sachen, um ein Wochenende
im Küstenort Santa Barbara,
vier Autostunden südlich von
uns, zu verbringen. Herrlich, was
ein einfacher Tapetenwechsel
doch bewirken kann. Wir freuten
uns auf ein paar entspannte Tage
in der Sonne und am Strand. Als
dann mein Mann sich auch wohlverdient
im herrlich kühlen Nass
erfrischen wollte, drang er, ohne
es zu ahnen, in das Revier eines
Rochens ein, die im südlichen Kalifornien
im flachen Wasser heimisch
sind. Mein Mann ahnte
nichts, der Rochen sah rot und
stach zu. Da war’s vorbei mit
Strand und Entspannung. Es floss
reichlich Blut, wir erfuhren vom
nicht auch der Kleine mal raus.
Wie gesagt, so der Plan. Es war bereits
Februar. Noch schnell wollten
wir die Geburtstage hinter uns
bringen (die Kinder und ich haben
alle innerhalb von drei Wochen
Geburtstag). Wir kommen
aus dem Feiern nicht mehr heraus
im Februar, und wir freuten uns
über die Pakete, die aus Deutschland,
eigentlich fürs Weihnachtsfest
bestimmt, nun pünktlich zu
irgendeinem von unseren Geburtstagen
ankamen. Wie gesagt,
eine Party ohne Ende.
Unser erster echter Kindergeburtstag
auf amerikanisch, im
Park, nicht im eigenen Garten
(sehr angenehm, man muss das
Haus vorher nicht vor neugierigen
Eltern grundsanieren, und hinterher,
nach fünf kleinen Besuchsmonstern,
Pardon, Partygästen,
auch nicht.) So verflog der Februar.
Im März machte ich mich
dann intensiv auf die Jobsuche
und bin schnell fündig geworden
– Amerika, das Land der unbegrenzten
Möglichkeiten, mit einer
deutschen Universitätsausbildung
umso mehr.
Und dann kam der 13. März, an
dem wir unsere Tochter aus dem
Kindergarten genommen haben,
weil da diese Sache mit dem neuen
Virus war, was ja angeblich
nicht so schlimm sein sollte. Wir
wollten vorsichtig sein und sie lieber
mal eine Woche zu Hause behalten,
um die Situation zu beobachten.
Aus der Woche wurden
sechs Monate.
Die Firma meines Mannes, informierte
meinen Mann, ab dem
17. März vorab für zwei Monate
zu Hause zu arbeiten. Aus dieser
Frist wurden eineinhalb Jahre,
was wir zu diesem Zeitpunkt aber
noch nicht wussten. So verflog
der restliche März und der April
mit der Anpassung an das neue
Leben zu Hause. Kein Spielplatz,
keine Freunde treffen, keine Ausflüge.
Die Kinder und ich haben viel
gebastelt und die Wände im Kinderzimmer
mit diversen Landschaften
gestaltet, während mein
Mann sich mühsam an das Arbeiten
aus dem Schlafzimmer, seinem
neuen Arbeitsumfeld, zu gewöhnen
versuchte. Er sagte später
zu mir, dass ihm am meisten die
tägliche Autofahrt vom und ins
Büro fehlt. Diese Zeit bedeutete
für ihn das gedankliche Vor- und
Nachbereiten des Arbeitstages,
der Abschluss und die Einstellung
auf zu Hause. Das hat er jetzt
nicht mehr und findet es schwer,
sich von der Arbeit auf Kinderund
Familienzeit umzustellen, indem
er nur das Zimmer verlässt.
Ende April bemerkten wir eine
erste Einstellung von zähem Warten
auf Neuigkeiten und Verdruss
über diese neue Situation des
ständigen Zuhauseseins, mag es
auch noch so gemütlich sein. Wir
waren in unserer persönlichen
Freiheit eingeschränkt, unsere
sonst üblichen Entdeckungstouren
von Land und Leuten zu unternehmen.
Es war nicht einmal
Jannicke Maar, Tochter eines Otterndorfer
Ehepaars, lebt seit
zwei Jahren in Kalifornien und
blickt auf das Jahr 2020 zurück.
Liebe Leser, kennen Sie noch das
Lied von der Jahresuhr von Rolf
Zuckowski? Falls es gerade aufgrund
von fehlenden Kleinkindern
oder Enkeln im Haus nicht
präsent sein sollte, kein Problem,
hier eine kleine Auffrischung: Er
zählt die Namen und den Ablauf
der Monate des Jahres auf, das
soll den Kindern helfen, sich diese
zu merken. Der Text lautet: „Januar,
Februar, März, April, die Jahresuhr
steht niemals still. Mai,
Juni, Juli, August, wecken uns allen
die Lebenslust. September,
Oktober, November, Dezember
und dann, und dann, fängt das
Ganze schon wieder von vorne
an: Januar, Februar, März, April,
die Jahresuhr steht niemals still...“
Dieses Lied läuft ab und zu bei
uns im deutsch-amerikanischen
Kinderzimmer und lässt mich seitdem
nicht mehr los. Wie oft habe
ich an dieses Lied und seine Botschaft
gedacht, wenn ich jetzt, so
kurz vor dem Jahresende, zurückdenke,
wie das Jahr 2020 doch abgelaufen
ist. Ein paar spontane
Adjektive fallen mir sofort dabei
ein: gespannt, eingeschränkt, anders,
unnormal, gefährlich, ängstlich,
frustriert, wütend, genervt.
Sie beschreiben so ziemlich, wie
meine Gefühlslage sich über das
Jahr hin verändert hat. Wenn ich
an das denke, was alles passiert
ist, was wir vorhatten und was wir
von alldem umsetzen konnten.
Und natürlich wie das Corona-Virus
unser Leben verändert hat.
Im Folgenden möchte ich Ihnen,
liebe Leser, in einem kleinen
Jahresrückblick darüber berichten,
wie unsere Familie das Jahr
2020 mit seinen Höhen und Tiefen
erlebt hat. Ach, ich kann ja
schon fast sagen, liebe Freunde,
denn wir sind ja unter uns. Sie haben
mich ja im vergangenen Jahr
durch meine regelmäßigen Berichte
in der Zeitung gut kennengelernt
und meinen Eltern in Otterndorf
immer fleißig rückgemeldet,
wie gern sie vom Leben meiner
Familie und mir hier in Kalifornien
lesen.
Leistenbruch-Operation
Also los, wir wollen beginnen.
Wie im Lied geht die Jahresuhr
los: „Januar, Februar, März, April,
die Jahresuhr steht niemals still.“
Die erste Hürde im Januar des
Jahres 2020 war die bevorstehende
Leistenbruch-Operation unseres
Kleinen, damals noch nicht
zwei Jahre alt. Das auch noch in
einem fremden Land, was war ich
krank vor Sorge. Doch, dem Himmel
sei Dank, es ist alles gut verlaufen
und so verflog der Januar.
Nach der OP, so der Plan, wollte
ich mich wieder in die Arbeitswelt
stürzen, diesmal hier in Amerika.
Die Elternzeit nach zwei Jahren
beenden, unsere Große war
gut etabliert im amerikanischen
Kindergarten, warum soll dann
Weihnachtsbaumschmuck nach kalifornischer
Art.
Die Feuer in Kalifornien färbten den Himmel orange.