
Cuxhavens versteckte Sanddünen: Warum ein Stück Wald ganz legal plattgemacht wurde
Mit einem Projekt namens "Atlantische Sandlandschaften" würden viele Einheimische die Stadt und den Kreis Cuxhaven nicht unbedingt in Verbindung bringen. Doch diese Region hat hierfür eine Menge zu bieten, zum Beispiel versteckte Binnendünen.
Jetzt beginnt wieder eine der schönsten Jahreszeiten für einen Streifzug durch die ausgedehnten Cuxhavener Küstenheiden zwischen Altenwalde, Oxstedt, Berensch und Holte-Spangen. Das frische Laub strahlt hellgrün, auf den Beweidungsflächen ist Nachwuchs zu beobachten und meistens rollt das Rad bequem dahin. Wer dem Hauptweg aus Richtung Altenwalde Richtung Berensch folgt, kommt bald nach dem Wilhelm-Lemke-Aussichtsturm auf eine seltsam anmutende Fläche zu. Die wohl jüngsten Binnendünen der Stadt sind erreicht.
Als erstes fallen die mächtigen vertrockneten Baumwurzeln auf, die die Fläche vom Weg und von der umgebenden Bewaldung abgrenzen. Fußgänger müssen sich ordentlich lang machen, um etwas von der dahinter liegenden Szenerie zu erspähen. Nur manchmal ist ein Eindruck der Dünenlandschaft mit freiliegendem Sand zu erahnen.

Hilfreich ist da die Schautafel genau in der Mitte der künstlich und mit voller Absicht im Naturschutzgebiet geschaffenen Fläche. Sie gibt einen Eindruck darüber, was es mit der auf den ersten Blick martialisch anmutenden Maßnahme auf sich hat, die Teil eines weit über die regionalen Grenzen hinausragenden Naturschutzprojektes ist.

Wie so manche Projektbezeichnung der EU lässt auch der Titel "Atlantische Sandlandschaften" - immerhin befindet man sich fast in Sichtweite der Nordsee - erst mal stutzen. Tatsächlich befindet sich unsere Küstenregion mitten in der atlantischen Region, einer der neun biogeografischen Regionen der EU, die jeweils ökologisch und klimatisch ähnliche Bedingungen aufweisen.
Allein in Deutschland erstreckt sich diese Zone über rund 70 000 Quadratkilometer vorwiegend in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, aber auch die schleswig-holsteinische Nordseeküste, Hamburg und Bremen gehören dazu. Über die Grenzen hinweg setzt sich die Region nach Belgien, Dänemark, Frankreich, Portugal, Spanien und das Vereinigten Königreich sowie Irland und die Niederlande fort. Der atlantischen schließt sich übrigens die kontinentale Region an, die das Klima im restlichen Bundesgebiet beherrscht.
Lebensraum für gefährdete Arten
Zu den charakteristischen Elementen der atlantischen Region werden nährstoffarme Lebensräume auf sandigen Böden gezählt. Diese sollen als Lebensraum für gefährdete Arten und somit zum Erhalt der Biodiversität geschützt und aufgewertet werden.

Für das von Oktober 2016 bis September 2026 laufende Integrierte LIFE-Projekt "Atlantische Sandlandschaften" haben sich Behörden und Institutionen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zusammengetan; die Projektleitung liegt bei der Bezirksregierung Münster. An den Gesamtkosten in Höhe von 16,875 Millionen Euro beteiligt sich die EU mit 10,125 Millionen Euro.
Anfang 2021 begannen in Altenwalde die Rodungsarbeiten in der Regie der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), des DBU-Naturerbes und Mitarbeitern des Bundesforstbetriebes Niedersachsen in Kooperation mit dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Ziel war, ein "Wald-Heide-Mosaik" auf Binnendünen zu erschaffen. Diese Binnendünen lagen davor unter aufgeforsteten Wäldern verborgen.
Einzelne Bäume ragen empor
Die standortfremden Nadelhölzer wurden - bis auf einzelne Brut- und Höhlenbäume, die nun aus der eingeebneten Fläche herausragen - gefällt. Danach schoben Bagger (nach Kampfmittelsondierung und unter archäologischer Begleitung, wie es in der Projektbeschreibung heißt) rund 2000 Kubikmeter der oberen Bodenschicht ab, sodass weiterer nährstoffarmer Sandboden aufgedeckt wurde.
Auf der Schautafel ist zu lesen, wie die Binnendünen im Laufe der Geschichte abwechselnd zutage traten und wieder zuwuchsen. Als Schutz vor dem Sandflug sollen die Bewohner der Region schon im Mittelalter damit begonnen haben, die Dünen mit genügsamen und tiefwurzelnden Gehölzen, etwa Kiefern, zu bepflanzen.

Ab dem 18. Jahrhundert bis in die 70er-Jahre seien die Küstenheiden dann systematisch mit Baumarten aus Südeuropa und Nordamerika aufgeforstet worden - darunter Schwarzkiefern und die Amerikanische Traubenkirsche, die binnen weniger Jahrzehnte die einst so charakteristische Heide - auch auf der Altenwalder Burg - überwuchert hat.
Auf der nun freigelegten Fläche sollen trockenheitsresistente Gewächse wie Sandsegge und Silbergras, Scharfer Mauerpfeffer, Flechten und Moose, Krähen- und Besenheide sowie Sandginsterheiden beste Bedingungen vorfinden und ebenso die Zauneidechse, Sandlaufkäfer, Sandbienen und Sandwespen, Heuschrecken wie der Warzenbeißer und Vögel wie der Ziegenmelker.

Gesamtprojekt von riesigem Ausmaß
Auf der Webseite zum Gesamtprojekt - www.sandlandschaften.de - befindet sich der Link zu einer interaktiven Landkarte, die das Ausmaß des Gesamtprojekts erkennbar macht. Allein im Landkreis Cuxhaven befinden sich noch elf weitere Projekte, vier davon im Cuxhavener Stadtgebiet (ebenfalls in den Küstenheiden, in der Sahlenburger Heide und im Wernerwald, wo ebenfalls Binnendünen geschützt werden), eines in Hemmoor, eines in Stinstedt, eines in Langen, eines in Midlum und drei östlich von Bremerhaven.
Wer zwischen Altenwalde und Berensch unterwegs ist, muss sich nach Passieren des Dünengebiets auf einen sandigeren Streckenabschnitt einstellen. Fußgänger, die es bis zum Aussichtsturm geschafft haben, können in der Regel auch die Dünen noch gut erreichen und dabei mit Glück Blicke auf die rechts und links weidenden Konik-Pferde und Heckrinder werfen.