In der Poststraße 11 liegen vier Stolpersteine (Foto) für Leo und Lieschen Ehrlich und deren Tochter Herta und Erika. Nur Erika überlebte. Im selben Haus lebte die jüdische Familie Blumenthal, an deren Mitglieder ebenfalls vier Stolpersteine erinnern. Fotos: Henning
In der Poststraße 11 liegen vier Stolpersteine (Foto) für Leo und Lieschen Ehrlich und deren Tochter Herta und Erika. Nur Erika überlebte. Im selben Haus lebte die jüdische Familie Blumenthal, an deren Mitglieder ebenfalls vier Stolpersteine erinnern. Fotos: Henning
Geschichte

Erinnerung und Mahnung: Cuxhavens "Stolpersteine" leuchten wieder auf

von Maren Reese-Winne | 18.07.2023

Es geschah nicht etwa heimlich, sondern vor aller Augen - an öffentlichen Sammelplätzen: Allein am 15. Juli 1942 wurden 925 Hamburger Juden ins KZ Theresienstadt deportiert. Darunter waren auch mehrere, die zuvor in Cuxhaven gewohnt hatten.

Bernhard Rosenthal, Anna und Benjamin Wallach, Friederike und Bernhard Weinberg, Max Moritz Cahn: Ihre Namen stehen heute auf Stolpersteinen in Cuxhaven. Sie alle mussten den Sonderzug ins Ungewisse besteigen. Die Bewohner Theresienstadts waren dem Elend preisgegeben. Zynischerweise waren die Namenslisten nicht mit "Deportation" überschrieben, sondern es handelte sich angeblich um "Auswanderungen".

Mehrere der einstigen Cuxhavener wurden in Theresienstadt ermordet, so wie auch der Cuxhavener Kurt Blumenthal, der genau am 15. Juli 1942 im Konzentrationslager Lodz/Litzmannstadt gewaltsam zu Tode kam. 

Alle 30 Platten wieder auf Hochglanz gebracht

Rüdiger Pawlowski und Ute Henning von der Regionalgruppe Cuxhaven des Vereins "Gegen Vergessen - für Demokratie" hatte also nicht umsonst den vergangenen Sonnabend als Tag gewählt, an dem sie einen Cuxhavener Bürger beim Polieren aller 30 in Cuxhaven verlegten Stolpersteine begleiteten, was mehrere Stunden dauerte.

Den Blick auf die Stolpersteine (verlegt zwischen 2012 und 2016) wach zu erhalten, ist eine der Aufgaben, die sich die Regionalgruppe auferlegt hat. Die zehn mal zehn Zentimeter großen Messingplatten leuchten nun wieder und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Denn darum geht es: an die Mitbürger  - Juden, Menschen mit Behinderung, politisch Andersdenkende - zu erinnern, die bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten friedlich in Cuxhaven lebten und Mitglieder des gesellschaftlichen Lebens waren.

Immer noch kommen neue Details ans Licht

Begleitet worden ist dies durch Schülerprojekte und öffentliche Veranstaltungen. Viele Details aus den Biografien der Opfer sind ans Licht geholt worden; immer noch werden weitere Episoden bekannt. Deshalb kündigt Rüdiger Pawlowski auch das baldige Erscheinen einer überarbeiteten Broschüre über die Stolpersteine an, an der Dr. Frauke Dettmer (Autorin der wissenschaftlichen Bücher über die Juden in Cuxhaven und ehemalige Leiterin des Jüdischen Museums Rendsburg) mitgewirkt hat.

Viele der Verfolgten, an deren Schicksal mit der von Bildhauer Gunter Demnig ersonnenen Aktion erinnert wird, starben; sie wurden ermordet oder verstarben bei den miserablen Lebensbedingungen. Andere überlebten, zum Teil durch Flucht ins Ausland. Und sie hinterließen Nachkommen. Einige von ihnen begleiteten die Verlegungen der Stolpersteine oder finanzierten sie. Zur Verlegung des Stolpersteins für Max Moritz Cahn, der ab 1919 als Schlachtermeister in Cuxhaven gearbeitet hatte, reiste am 8. Oktober 2013 dessen Enkelsohn Ken Carter aus den USA mit Frau und Tochter an. Einen Brief der Urenkelin Francesca grub Künstler Gunter Demnig unter dem Stolperstein ein.

Max Moritz' Sohn Karl-Hans Cahn (Vater von Ken Carter),  im Jahr 1932 Abiturient am Gymnasium für Jungen in Cuxhaven, arbeitete zunächst in Hamburg und flüchtete vor den Drangsalierungen im Juni 1939 nach Shanghai. Gerade noch rechtzeitig. Erst bei der Ankunft in den USA 1948 erfuhr er von der Ermordung seines Vaters.

So eine Lawine niemals wieder zulassen

Die Stolpersteine stellen gleichzeitig auch eine Mahnung dar. Deshalb entstanden bei der Reinigungsaktion auch Erinnerungsfotos mit Zitaten von Überlebenden, Künstlern oder Politikschaffenden, die zum Engagement gegen Rechts mahnen. So wie die auch in Cuxhaven bekannte Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, die ihre Aufklärungsarbeit mit dem Satz "Ich mache das, weil ich weiß, dass es so furchtbar, so furchtbar wichtig ist" begründete. Autor Erich Kästner stellte einmal fest: "Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät (...). Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf."

     

Erinnerungsfoto am Stolperstein für Max Moritz Cahn: Der Teddybär hält das Zitat der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano.

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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