Als Ausrufer Albert Herrmann moderierte Günter Kruggel am 24. Juni 2016 die Festveranstaltung an der Alten Liebe zu den Feierlichkeiten "200 Jahre Seebad Cuxhaven". Foto: Ingo Wagner/dpa
Als Ausrufer Albert Herrmann moderierte Günter Kruggel am 24. Juni 2016 die Festveranstaltung an der Alten Liebe zu den Feierlichkeiten "200 Jahre Seebad Cuxhaven". Foto: Ingo Wagner/dpa
Interview

Wie es Günter Kruggel aus Cuxhaven zum drittbesten Ausrufer Deutschlands brachte

von Maren Reese-Winne | 05.10.2025

Vor 15 Jahren haben sich Ausrufer aus ganz Deutschland zu einer Gilde zusammengeschlossen. Seitdem küren sie alle drei Jahre in Neustadtgödens ihren Meister. Von Anbeginn dabei: Günter Kruggel aus Cuxhaven. Diesmal stand er auf dem Treppchen. 

Bei der Siegerehrung hatte plötzlich eine Medaille um den Hals hängen - als Drittplatzierter bei der Deutschen Meisterschaft. Im Gespräch mit Maren Reese-Winne erklärt er, was hinter der Tradition steckt.

Herr Kruggel, Sie sind in die Rolle des berühmten Cuxhavener Ausrufers Albert Hermann geschlüpft. Wie ist es dazu gekommen?

Bei ihren Recherchen für mögliche Veranstaltungskonzepte ihrer Veranstaltungsagentur "Fun Kontor" war meine Frau Frauke auf die Figur Albert Hermann gestoßen. Er war eine schillernde Persönlichkeit, Jahrgang 1844, galt aber auch als etwas schrulliger Kauz. Als Utröper in Cuxhaven wandte er sich vor allem an die Badegäste, anders als die Ausrufer in vielen anderen Städten, die die Aufgabe hatten, überall in der Gemeinde die amtlichen Bekanntmachungen aus dem Rathaus zu verkünden.

Günter Kruggel aus Cuxhaven am 16. Juni 2013 bei der zweiten Deutschen Ausrufer-Meisterschaft im historischen Ortskern von Neustadtgödens (Niedersachsen). Foto: Ingo Wagner/dpa

Albert Hermann wolle die Leute nicht nur informieren, sondern auch unterhalten und belustigen. Als meine Frau mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, in seine Rolle zu schlüpfen, habe ich sofort Ja gesagt. Bei unseren historischen Führungen für Touristen war Albert Hermann aber sogar nur eine von vielen Persönlichkeiten, die von uns wieder zum Leben erweckt wurden. Das kam gut an, vor allem, wenn ich vorab die Gäste gefragt hatte, was ich denn verkünden solle. Das ging bis zur Liebeserklärung an die Gattin.

Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet und mehr über die Person Albert Hermann erfahren?

Heimatforscher Peter Bussler hat Albert Hermann mehrfach bei Vorträgen und in Publikationen beschrieben und auch im Stadtarchiv ist einiges zu erfahren. Albert Hermann kündigte sein Kommen mit einer großen Glocke an und verkündete sämtliche Ausrufe in Reimform, und das stets von einem Hocker oder einer Trittleiter aus. Deshalb mache ich das auch noch heute so. Beschrieben sind außerdem mehrere Kopfbedeckungen, die er trug, zum Beispiel eine weiße oder eine schwarze Mütze. Albert Herrmann, gelernter Buchdrucker und zeitweilig sogar Zeitungsverleger, hat sich mit den Ausrufen offensichtlich seinen Lebensunterhalt aufgebessert. Bekannt war er für seinen Humor, die Eltern schickten aber auch die Kinder zu ihm, für die er eine Art Nachhilfelehrer war.

Das Original: Ausrufer Albert Hermann setzt zur Rede an. Foto: CNV-Archiv

Wie kam es zur Gründung der deutschen Ausrufergilde?

Ich war damals schon auf Touristenführungen und Firmenveranstaltungen aktiv und wurde 2009 vom späteren ersten Gildepräsidenten angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte, bei der Gründung dabei zu sein. Das hatte ich. 2010 wurde die Gilde in Neustadtgödens gegründet, verbunden mit der ersten deutschen Meisterschaft. Die tragen wir  seither alle drei Jahre aus - immer in Neustadtgödens, diesmal zum 6. Mal.

Gründungsversammlung der Deutschen Ausrufer-Gilde im Jahr 2020. Foto: Kruggel

Wo ergibt sich die Gelegenheit, die Ausruferkunst heute noch zu zeigen?

Zwischen den Meisterschaften treffen wir uns jedes Jahr in kleinerer Besetzung in einer anderen Stadt, meist angehängt an eine dort stattfindende Großveranstaltung. Das sind immer drei tolle Tage und so lernt man Deutschland kennen. 2015 habe ich die Truppe in Cuxhaven zusammengeholt. Inzwischen trete ich nur noch im Rahmen der Gilde auf.

Eine große Familie gemeinsam auf der Bühne: Treffen der Ausrufer in Cuxhaven im Jahr 2015. Mit der Glocke in der Hand: Günter Kruggel, vorn: Ehefrau Frauke als Mine Möhlmann. Foto: Kruggel

Welche Qualitäten muss ein Ausrufer mitbringen?

Voraussetzung ist, dass die Teilnehmer in ihrer Stadt als Ausrufer in Erscheinung treten oder getreten sind. Bei der Meisterschaft werden jeweils zwei Ausrufe von jeweils zwei Minuten Länge bewertet. Natürlich sind rassistische oder menschenverachtende Wortspiele nicht zulässig. Die vierköpfige Jury achtet auf Mimik, Gestik, Kleidung und Accessoires, Ausstrahlung, Lautstärke, Nähe zum Original, Interaktion mit dem Publikum, Wortwitz, Verständlichkeit und, so vorhanden, auf eine ebenfalls kostümierte Begleitung (Escort). Bei mir war das oft meine Frau Frauke als Mine Möhlmann. Diese war in Cuxhaven als Fischweib, also Fischverkäuferin, bekannt, die Fisch und Knoot (Krabben) aus dem Hafen in einem ausgedienten Kinderwagen zur Kundschaft brachte. Ein alter Kinderwagen aus Familienbesitz steht deshalb immer noch bei uns in der Garage. Die Figur Mine Möhlmanns und Albert Hermanns Glocke - sein Markenzeichen - sind übrigens sogar auf dem Brunnen auf dem Kaemmererplatz zu sehen.

Die Erinnerung an die Fischverkäuferin Mine Möhlmann und die Glocke des Ausrufers Albert Hermann sind auf dem Gezeitenbrunnen auf dem Kaemmererplatz dauerhaft festgehalten. Foto: Reese-Winne

Welche Rolle spielt das Äußere?

Albert Hermann trug nicht immer eine bestimmte Kluft. Ich versuche, mit meiner Kleidung dem Original nahzukommen. Das stellt natürlich einen Gegensatz zu vielen anderen Figuren dar, die teilweise in prächtigen Uniformen mit langen Federn am Hut daherkommen und schon deshalb Aufmerksamkeit erzeugen. Den Sieg aber holte sich in diesem Jahr Reinhold Prieß aus Werth (bei Borken), und der tritt in einem einfachen Fischerhemd auf. Wir haben es ihm alle sehr gegönnt.

Was war das Besondere bei der diesjährigen Ausrufer-Meisterschaft in Neustadtgödens?

Da gab es sogar zwei Besonderheiten. Zum einen wurde die Meisterschaft zum ersten Mal international gemeinsam mit der niederländischen Ausrufergilde ausgetragen. Die deutsche und die niederländische Meisterschaft wurden zum Glück getrennt gewertet, denn die Niederländer haben alle vorderen Plätze belegt (lacht). Zum anderen haben  wir im Schloss Gödens in einer feierlichen Zeremonie eine Brüderschaft mit der niederländischen Gilde begründet, und das als Gäste des jungen Grafen und Hausherrn, der in diesem Jahr Schirmherr der Veranstaltung war. Das war ein ganz besonderes Erlebnis in diesem schönen Schloss, das wir zum ersten Mal auch betreten haben. Die Gründung der Brüderschaft hat auch ein Fernsehteam des NDR angelockt, das letztlich den ganzen Tag begleitet hat. 

Welches Verhältnis verbindet die Ausrufer national und international?

Es ist eine intensive und herzliche Freundschaft. Wir sind auch schon in den Niederlanden aufgetreten - außer Konkurrenz als Gastausrufer - und haben uns deshalb auch schon als Ehepaar mehrfach die Insel Ameland als Urlaubsziel ausgesucht. Unsere internationale Gruppe besteht aus etwa 30 - mit Escorts 40 - Personen, die jedes Jahr zweieinhalb Tage miteinander verbringen.

Was haben Sie in diesem Jahr vorgetragen?

Ich habe in diesem Jahr als Spottdrossel sehr aktuell über strittige Themen wie die Hermine, die Duhner Spitze, die Rammarbeiten und das zutage geförderte U-Boot gesprochen - natürlich in Reimform wie einst Albert Hermann. Ein bisschen Kritik, aber im Grunde ist jeder Ausruf auch eine Liebeserklärung an seine Stadt. Im zweiten Ausruf habe ich als Küstenkind den Landratten etwas über Ebbe und Flut berichtet. Die Reihenfolge haben wir per Würfel bestimmt. Die Bedingungen waren diesmal bei Sturm, Regen und der Lärmkulisse vom Feuerwehrfest nebenan nicht einfach. Immerhin hat der Sturm die Stimmen Richtung Jury getragen (schmunzelt). Eine Beschränkung auf eine bestimmte Wort-Anzahl gibt es nicht mehr, so wie in einem früheren Wettbewerb, in dem ich die kulinarische Spezialität Labskaus in 126 Worten erklären musste.

Bleiben Sie dem Publikum als Albert Hermann noch ein bisschen erhalten?

Sehr gern. Ich fiebere schon dem nächsten Treffen im kommenden Jahr und der Meisterschaft im Jahr 2028 entgegen.

Vielen Dank für die Einblicke, Herr Kruggel!

Zur Person:

Günter Kruggel (68) ist gebürtiger Kieler und somit auch sein Leben lang ein Küstenbewohner gewesen. Kein Wunder, dass er das Watt als seinen Lieblingsplatz bezeichnet. Seit er im Jahr 2000 nach Cuxhaven gekommen ist, hat er die Unterhaltungs- und Bildungsveranstaltungen im Fun-Kontor, bekannt unter anderem durch das Blaue Klassenzimmer, mitgestaltet. Das verschaffte ihm einige Berühmtheit unter Cuxhavens Stammgästen, die ihn "Günni" rufen. Den Spitznamen trägt er auch unter den Ausrufern.

Mitglieder der Ausrufer-Gilde 2015 auf der Kurpark-Bühne. Foto: Koppe
Albert Herrmann als Ausrufer am Döser Strand. Foto: Archiv Bussler

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

mreese-winne@no-spamcuxonline.de

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