
Experten widersprechen Darstellung vom "Todessee" in Hemmoor
Tauchen ist kein Ballett oder Voltigieren. Tauchen ist körperlich und mental ein Risikosport. Jetzt starb in Hemmoor ein erfahrener Taucher. Schnell ist in den Medien wieder von einem "Todessee" die Rede; Experten widersprechen.
Von Egbert Schröder
Hemmoor. Tauchen ist kein Ballett oder Voltigieren. Tauchen ist ein Risikosport. Rund 40.000 Wassersportler pro Jahr wissen das auch in Hemmoor und tauchen ab in die Unterwasserwelt des Kreidesees. Jetzt starb dort ein erfahrener Taucher. Schnell ist in den Medien wieder von einem "Todessee" die Rede; Experten widersprechen.
Holger Schmoldt kennt wahrscheinlich jeden Quadratmeter des Hemmoorer Kreidesees. Es ist ein Gewässer, das nach der Stilllegung der Zementproduktion entstanden ist und sich nach und nach zu einem international bekannten "Tauchparadies" entwickelt hat. Nicht ohne Grund landete Hemmoor bei der Preisvergabe der besten Tauchbasis in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den letzten Jahren immer wieder auf dem Siegertreppchen (unsere Redaktion berichtete ausführlich). Die Abstimmung erfolgte nicht durch eine namenlose Jury, sondern durch Taucherinnen und Taucher, die das Revier kennen und schätzen.
Der Kreidesee ist bekannt und herausfordernd. Wer einmal in einem Warmwassersee einen Schnorchel-Kurs gemacht hat, wird dort wahrscheinlich etwas überfordert sein. Aber entspricht die von vielen Medien titulierte Bezeichnung "Todessee" auch nur annähernd den Tatsachen? Klar ist, dass es Vorfälle und auch tödliche Unfälle gegeben hat. Aber woran liegt das?
Die NEZ/CN-Redaktion hat mit einem erfahrenen Notarzt aus dem Landkreis Cuxhaven gesprochen, der auch schon häufig nach Hemmoor ausgerückt ist. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung nennen, aber seine Erfahrungen mitteilen. Aus seiner Sicht gehen viele Taucher davon aus, dass sie, wenn sie auf den Malediven oder in anderen hübschen Regionen ihren Tauchschein erworben haben, auch mal kurz in Hemmoor in die Tiefe gehen könnten.
Panik-Reaktionen sind keine Seltenheit
Doch dabei komme der Faktor der Selbstüberschätzung ins Spiel. Der Kreidesee sei nun einmal nicht ein Bereich, in dem man auf bunte Fischwärme in geringer Tiefe treffe, sondern das Gewässer stelle durchaus Anforderungen an die körperliche und auch psychische Belastbarkeit. Da könne man schnell an seine Grenzen stoßen, wenn man sich "mal eben" einen Tauchgang gönnen wolle. Man müsse sich schon bewusst machen, dass zum Beispiel die Sichtweite begrenzt sei. Dies könne auch zu Panik-Reaktionen führen.
Wie berichtet, gibt es selbst aus relativ geringer Höhe in dem bis zu dem rund 60 Meter tiefen See Taucher, die plötzlich Probleme bekommen. Beim jüngsten Todesfall handelte es sich um einen sehr erfahrenen Mann (54), der in nur neun Metern Tiefe das Bewusstsein verlor und später starb.
Für den Notarzt spielt bei der Behandlung der Folgen eines derartigen Notfalls auch die schnelle Erreichbarkeit einer Dekompressionskammer eine zentrale Rolle. Doch die sind weit entfernt. In Notfällen könne man vor Ort nur bedingt Hilfe leisten.
Daran wird sich auch nach der erfolgten Übernahme des Rettungsdienst-Systems durch den Landkreis nichts ändern: "Die Versorgung nach Tauchunfällen ist originäre Aufgabe des Rettungsdienstes, dies inkludiert den Einsatz eines Rettungswagens und/oder eines Notarzteinsatzfahrzeugs." So wird Dr. Benjamin Junge (Ärztlicher Leiter Rettungsdienst des Landkreises Cuxhaven) von der Pressestelle des Landkreises zitiert.
Holger Schmoldt ist Betreiber der Tauchbasis in Hemmoor. Der Lamstedter sieht natürlich, dass das Tauchrevier in Hemmoor durch Vorfälle wie am Wochenende in die Negativ-Schlagzeilen gerät. Doch er sagt auch, dass "nicht jeder Tauchunfall" tatsächlich einer sei. Die Tauchbasis sei natürlich verpflichtet, solche Vorfälle der Leitstelle mitzuteilen. Doch erst kürzlich habe es zum Beispiel einen Fall gegeben, in dem ein Mann zu schnell aufgetaucht sei, aber keine nachhaltigen körperlichen Probleme gehabt habe: "Am nächsten Tag ist er wieder getaucht."
Schmoldt: "Wir laufen Streife"
Einfach im See abtauchen? Undenkbar. Im Internet und auch in Gesprächen vor Ort werde deutlich gemacht, dass es klare Spielregeln für eine Stippvisite gibt. Dazu zählt unter anderem auch die Forderung nach einem sogenannten "Zweitautomat", der dann ins Spiel kommt, wenn die normale Ausrüstung nicht funktioniert. Zudem "laufen wir auch Streife", sagt Schmoldt und meint damit die Kontrolle von Tauchern am See. Außerdem habe man einen Notarzt engagiert, der das Personal schule und auch Rettungsübungen anleite. Schmoldt: "Wir machen mehr, als wir eigentlich müssten."
Aus Sicherheitsgründen habe man inzwischen drei Rettungsboote und ebenso viele Telefone am See sowie einen "nagelneuen" Container mit zwei Krankenhausbetten, Sauerstoffkoffer und Defibrillatoren angeschafft. Er und sein Team seien sich schließlich schon immer der Verantwortung bewusst gewesen, die der Betrieb einer solchen Tauchbasis mit sich bringe.